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FORUM 2–2020

Hebammenarbeit mittels digitaler Medien

Der Beitrag zeigt, dass es sowohl eine Nachfrage als auch Angebote im Bereich digitaler Beratung durch Hebammen gibt, welche Vorteile sich ergeben und wo die medial vermittelte Beratung auf Grenzen stößt.
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Der Beitrag zeigt, dass es sowohl eine Nachfrage als auch Angebote im Bereich digitaler Beratung durch Hebammen gibt, welche Vorteile sich ergeben und wo die medial vermittelte Beratung auf Grenzen stößt.

Können Sie sich vorstellen, dass Hebammenarbeit digital stattfindet? Wie berührt die Hebamme eine Schwangere, wie ertastet sie das Kind im Bauch, wie erkennt sie Wehen und wie wiegt man ein Baby aus der Ferne? Der Hebammenberuf ist sicher einer der letzten, die man mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen verknüpft. Nach Meinung der Zukunftsforscherin Oana Horx-Strathern kann nur ca. 1 Prozent der Hebammenarbeit durch digitale Hilfsmittel ersetzt werden (Vortrag beim Nationalen Hebammenkongress 2019 in Bremen).

Dennoch können wir sagen: Die Digitalisierung greift an verschiedenen Stellen in die Arbeit einer Hebamme ein. Nicht nur, wenn es um bürokratische Dinge geht, sondern auch im Rahmen der originären Hebammentätigkeiten. In der Organisation des Hebammenalltags sind Dokumentation und Abrechnung schon lange digital unterstützt. Und in den letzten Jahren zeigt sich zunehmend, dass Frauen im Rahmen ihrer Schwangerschaften und ersten Wochen mit den Kindern sehr stark internetgestützte Beratung nachfragen. Hebammen haben diese Bedürfnisse aufgenommen und ihrerseits digitale Beratung angeboten. Der Weg führte von Telefongesprächen zu Videochats, Podcasts und Onlinekursen.

 

Wie sieht digitale Beratung durch eine Hebamme aus?

Hebammen beraten schon seit Langem Schwangere und Wöchnerinnen mittels Kommunikationsmedien. Die Instrumente hierbei werden immer vielfältiger: Videotelefonie, Chatnachrichten und Onlinekurse haben die Arbeit der Hebammen ergänzt. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hält unaufhaltbar Einzug in die Begleitung von Schwangeren und jungen Eltern. Und diese Art der Kontaktpflege wird von den Klient*innen wie bereits erwähnt stark gefordert. Die Vorteile sind, dass der Austausch flexibel und kurzfristig möglich wird, dass die Fahrtwege zwischen Ratsuchenden und Hebammen wegfallen und dadurch Ressourcen gespart werden können.

Aber so richtig in Fahrt kam die Digitalisierung im Hebammenwesen mit Corona. Laut Hebammenhilfevertrag müssen alle Leistungen persönlich erbracht werden. Mit der Pandemie mussten persönliche Kontakte auf das Nötigste reduziert werden, und sehr schnell einigten sich Hebammenverbände und Krankenkassen im Rahmen einer Sondervereinbarung auf eine Vergütung der digitalen Leistungserbringung. Und die Hebammen machten sich auf den Weg.

Heute ist es für viele Hebammen selbstverständlich, Geburtsvorbereitung vor der Kamera anzubieten und sich mithilfe von Videoanrufen den Nabel eines Babys zeigen zu lassen oder die Mutter zum Stillen anzuleiten.

Wir wissen aus Rückmeldungen von Frauen und Hebammen, dass diese digitale Betreuung Vorteile, aber auch ihre Grenzen hat. Denn im Zweifel muss ich mir als Hebamme doch ein Bild der Situation vor Ort machen, muss
meine Hände einsetzen und Auffälligkeiten in Augenschein nehmen.

Digitale Beratung hilft, um zunächst Beschwerden einzuschätzen, Ängste zu nehmen und auch die Kapazitäten der Hebammen zu erhöhen, wenn zum Beispiel Fahrtzeit im Auto wegfällt. Digitale Beratung hilft auch bei Familien, die in ihrer Umgebung keine Hebamme finden können. Und digitale Beratung funktioniert vielleicht auch als vertrauensbildende Maßnahme bei Familien, die sich schwertun, fremde Menschen in ihrem direkten Umfeld willkommen zu heißen.

 

Die Hebamme kennt ihr Gegenüber am Telefon

Nach unserer Erfahrung ist die digitale Beratung als Ergänzung, als »Add-on« zur persönlichen Betreuung, eine große Unterstützung für alle. Hebamme und Frau kennen sich, wissen um die persönlichen Umstände, die Anamnese ist bekannt und durch weitere persönliche Kontakte konnte ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Und hier ist es gut möglich, einen Hausbesuch durch eine videogestützte mediale Beratung zu ersetzen. Meist werden die Bedarfe der Frau gut befriedigt. Und diese Form der Begleitung in der wichtigen Phase des Elternwerdens wird uns auch helfen, Engpässe in der Hebammenbetreuung vor Ort abzufedern.

 

Die Hebamme kennt ihr Gegenüber am Telefon nicht

Wir wissen von anderen digitalen Angeboten, wie zum Beispiel der Telefonseelsorge, dass in Notsituationen jeder Kontakt gesucht wird. Auch am Telefon wird die Hebamme mit all ihrem Wissen zur Verfügung stehen. Erschwert wird die Beratung, da zunächst viele Parameter bei der Anruferin erfragt werden müssen, wie zum Beispiel zu vorangegangenen Schwangerschaften, der aktuellen Schwangerschaft und zu allem, was mit der Geburt und den ersten Tagen mit dem Baby zu tun hat. Eine ausreichende Einschätzung der Situation und damit eine abschließende Beratung ist in diesem Fall deutlich erschwert. Kennen sich die Fragende und die beratende Hebamme nicht, wird am Ende der Gespräche der Rat zu einer persönlichen Konsultation einer Ärztin/eines Arztes oder einer Klinik sehr viel häufiger erfolgen müssen als im oben beschriebenen Fall.

 

Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beratung

Hebammenhilfe ist nicht zu ersetzen, aber sie kann durch digitale Beratung unterstützt werden. Zum Beispiel Fragen rund um den Lebensalltag in der Schwangerschaft, angefangen von Ernährung über Sport bis zu einer guten Schlafumgebung, sind gut in Form eines Videochats zu klären. Dasselbe gilt für Umstände im Wochenbett wie zum Beispiel ein unruhiges Kind, Unsicherheiten zur Ausscheidung beim Kind oder was die Mutter zur Stillförderung tun kann.

Eine große Erleichterung sind digitale Kontakte dann, wenn Therapieergebnisse überprüft oder Informationen z. B. zu Laborwerten ausgetauscht werden müssen.

Eine Grenze wird erreicht, wenn schmerzhafte Zustände beschrieben werden. Erste Hinweise zu Verhaltensänderung oder Therapievorschläge kann die Hebamme sehr gut übermitteln, nehmen die Beschwerden aber nicht ab, entsteht der Wunsch oder die Notwendigkeit eines persönlichen Kontakts. Ist die beratende Hebamme im Umkreis der Schwangeren oder jungen Mutter ansässig, wird die Begleitung kontinuierlich in den gleichen Händen bleiben können. Ist aber die beratende Hebamme nicht auch persönlich zu kontaktieren, kommt es zu einem Bruch in der Betreuung. Wir schätzen die kontinuierliche Betreuung in Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit als ein hohes Qualitätsmerkmal ein. Sie unterstützt Frauen und ihre Familien im Prozess des Elternwerdens. Zahlreiche Untersuchungen1 zeigen, dass dies für die Gesundheit der Mütter und Kinder ein wichtiges Kriterium ist.

Digitale Beratung ist heute ein fester Bestandteil der Hebammenarbeit, Geburtsvorbereitungskurse als virtuelle Sitzungen sind fast schon selbstverständlich. Technisch und didaktisch haben Hebammen sich hier in kurzer Zeit schnell entwickelt. Dies dient sowohl der Befriedigung der Bedürfnisse der Schwangeren und Wöchnerinnen als auch der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Hebammen. Es ist eine gute Ergänzung, kann aber nie ein Ersatz sein.

Noch ist die digitale Leistungserbringung von Hebammen mittels digitaler Medien nicht im Hebammenhilfevertrag nach § 134a SGB V verankert. Wir gehen aber davon aus, dass dies mit der nächsten Anpassung des Vertrags vorgenommen werden wird. Richtlinien hinsichtlich Datenschutz, Patientenrechten und technischen Voraussetzungen sind zum Beispiel im Gesetz zur digitalen Versorgung (DVG) aufgeführt. Das gilt auch für Hebammen

Heute ist unser Ziel, die Möglichkeit der digitalen Beratung zum Vorteil von Frauen, Kindern, deren Familien
und auch für Hebammen zu nutzen, nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie.

1 Sandall, J., Soltani, H., Gates, S., Shennan, A., & Devane, D. (2016). Midwife-led continuity models versus other models of care for childbearing women. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016, Issue 4. Art. No.: CD004667. DOI: 10.1002/14651858.CD004667.pub5.

Literaturangaben

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Hurrelmann, K. (1988). Sozialisation und Gesundheit. Somatische, psychische und soziale Risikofaktoren im Lebenslauf. Weinheim/München: Juventa.

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Ravens-Sieberer, U., Kaman, A., Otto, C., Adedeji, A., Devine, J., Erhart, M., Napp, AK., Becker, M., Blanck-Stellmacher, U., Löffler, C., Schlack, R., & Hurrelmann, K. (2020). Mental health and quality of life in children and adolescents during the COVID-19 pandemic – results of the COPSY study. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 828–9. DOI: 10.3238/ arztebl.2020.0828.

Rogers, C. R. (2001). Die nicht-direktive Beratung. 10. Auflage. Frankfurt/ Main: Fischer.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2019). JIM-Studie 2019 – Jugend, Information, Medien. Zugriff am 19.11.2020 unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2019/JIM_2019.pdf.

Wenzel, J., Jaschke, S., & Engelhardt, E. (2020). Krisenberatung am Telefon und per Video in Zeiten von Corona. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation. 16. Jahrgang, Heft 1, Artikel 4-2020.

 

 

 

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Ursula Jahn-Zöhrens

Mitglied im Präsidium des Deutschen Hebammenverbands und Beirätin für den Freiberuflichenbereich.

Kontakt: jahn(at)hebammenverband.de

www.hebammenverband.de

 

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