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FORUM 2–2017

Selbstbestimmt verhüten

Kristina Nottbohm , Dr. Alexandra Ommert , Informationen zu den Autorinnen/Autoren

Modellprojekt »biko« erprobt Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung für Frauen mit wenig Geld

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Selbstbestimmt verhüten

Studien zeigen, dass Frauen ihr Verhütungsverhalten ändern, wenn das Geld knapp ist. Bei der selbstbestimmten Wahl einer Verhütungsmethode sollten jedoch nicht die Kosten, sondern Verträglichkeit, Sicherheit und individuelle Lebenssituation die entscheidenden Kriterien sein. Der pro familia Bundesverband erprobt deshalb in einem wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt an sieben Standorten in Deutschland, wie eine Kostenübernahme von verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln für Frauen ab 20 Jahren, die über wenig Geld verfügen, realisiert werden kann.

Das Modellprojekt »biko« – Beratung, Information und Kosten übernahme bei Verhütung – wird seit Oktober 2016 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert und soll Frauen ermöglichen, ihr Verhütungsmittel selbstbestimmt zu wählen sowie ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden.

Hintergrund: aktuelle Situation in Deutschland

Der Hintergrund, vor dem das Modellprojekt entwickelt wurde, lässt sich im Wesentlichen auf zwei Befunde zuspitzen: Erstens verzichten Frauen auf sichere Verhütung, wenn das Geld knapp ist. Und zweitens gibt es ab dem 20. Lebensjahr keine flächendeckende finanzielle Unterstützung für Verhütungsmittel für Frauen, die Anspruch auf Sozialleistung haben oder über ein vergleichbar geringes Einkommen verfügen. Damit haben diese Frauen geringere Chancen auf eine selbstbestimmt gelebte Verhütung. Es fehlt eine bundeseinheitliche Lösung, die den Rechtsanspruch für Frauen garantiert.

Finanzielle Lage bestimmt Verhütungsverhalten

Regelmäßige Ausgaben wie etwa für die Pille, aber auch hohe einmalige Kosten, wie sie bei der Einlage einer Spirale (bis ca. 400 Euro) anfallen, können das Budget von Frauen mit geringem Einkommen deutlich überschreiten. Studien konnten zeigen, dass Frauen – obwohl ihnen Verhütung wichtig ist – ihr Verhütungsverhalten ändern und eher preiswerte re und weniger zuverlässige Methoden verwenden oder auf Verhütung ganz verzichten, wenn die Kosten für sichere Ver hütungsmittel zu teuer für sie sind.1 So kommen die Sozial forscherinnen der aktuellen Studie »frauen leben 3« zu dem Ergebnis: »Als besonderes Zugangsproblem haben sich für Frauen mit Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen (vor allem ALG II) die Kosten für Pille, die Spirale und die Sterilisation erwiesen. Dies kann erklären, warum Frauen mit niedriger Bildung und/oder einem schlecht bewerteten Einkommen häufiger nicht verhüten, wenn sie sexuell aktiv sind, obwohl sie keinen Kinderwunsch haben. (…) Das Kostenargument ist insbesondere ein Problem, wenn gegen Ende der Familienphase ein Wechsel zu Spirale oder Ste rilisation die beste Option wäre, die aber nicht finanzierbar ist.« (BZgA 2016, S. 144; s. a. auch der Beitrag von C. Helfferich in diesem Heft) Auch frühere, kleinere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Frauen mit Anspruch auf Sozialleistungen bzw. geringem Einkommen – obwohl sie sicher verhüten möchten auf unsichere Verhütungsmittel ausweichen, wenn diese billi ger und für sie finanzierbar sind (vgl. Busch/Nitz 2014; Gäckle 2006).

Keine bundesweite Regelung

Bis zur Einführung von Hartz IV wurden ab dem 21. Lebensjahr2 die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel auf Basis des Bundessozialhilfegesetzes als Sonderleistungen vom Sozialamt übernommen. Dies galt für alle, die Sozialhilfe erhalten haben. Infolge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes und der Veränderungen im Sozialgesetzbuch seit dem Jahr 2004 ist die Finanzierung von Verhütung für Menschen mit Anspruch auf Sozialleistungen bzw. mit geringem Einkommen schwieriger geworden. In den pauschalisierten Regelsätzen für Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfänger bleiben Verhütungsmittelkosten unberücksichtigt. Sie müssen über den Regelsatz von knapp 18 Euro monatlich für »Gesundheitspflege« mitfinanziert werden. Dies kann in der Realität vieler betroffener Frauen bedeuten, dass sie sich zwischen benötigten nichtverschreibungspflichtigen Arznei- und Heilmitteln, zum Beispiel Kopfschmerztabletten und Heuschnupfenmitteln, und der Pille entscheiden müssen.

Modellprojekt »biko« – Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung

Wo gibt es »biko«?
Die Kostenübernahme läuft von Januar 2017 (Lübeck: Oktober 2016) bis Juni 2019 (Lübeck: März 2019) an diesen sieben Standorten in den pro-familia-Beratungsstellen:

  • Erfurt/Artern, Thüringen

  • Halle an der Saale, Sachsen-Anhalt

  • Lübeck, Schleswig-Holstein

  • Ludwigsfelde (Landkreis Teltow-Fläming), Brandenburg

  • Recklinghausen/Marl/Gladbeck, Nordrhein-Westfalen

  • Saarbrücken, Saarland

  • Wilhelmshaven/Landkreis Friesland, Niedersachsen

Für wen gibt es »biko«?
Frauen, die mindestens 20 Jahre alt sind, an einem der sieben »biko«-Standorte wohnen und eine dieser finanziellen Unterstützungen erhalten:

  • Arbeitslosengeld II

  • Sozialhilfe

  • Kinderzuschlag

  • BAföG

  • Berufsausbildungsbeihilfe

  • Wohngeld

  • Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (auch vor dem 20. Geburtstag)

Oder sie haben ein vergleichbar geringes Einkommen. Dann kann in der Beratungsstelle geprüft werden, ob sie das »biko«-Angebot nutzen können.

Für diese Verhütungsmittel können die Kosten übernommen werden:

  • Pille/Minipille

  • Kupferspirale/Kupferkette

  • Hormonspirale

  • Depotspritze, Dreimonatsspritze

  • Vaginalring

  • Verhütungspflaster

  • Hormonimplantat

  • Pille danach (nur mit Rezept)

Mehr Informationen gibt es auf www.biko-verhuetung.de

Neben Frauen und Männern, die Arbeitslosengeld II, Grundsicherungsleistungen oder Wohngeld erhalten, sind auch Geringverdienende oder Auszubildende, Studierende und Asylbewerber/-innen in der Situation, dass für sie der Zugang zu individuell geeigneter Verhütung erschwert ist. Für Frauen, die Transferleistungen nach SGB XII erhalten, führen unklare (beziehungsweise sich wider sprechende) Regelungen dazu, dass diese regional unterschiedlich ausgelegt werden.

Einige Kommunen haben den Mangel erkannt und handeln, indem sie mit sogenannten freiwilligen Leistungen Unterstützung bei der Finanzierung von Verhütungsmitteln einräumen. Somit ist ein Flickenteppich an regionalen Angeboten entstanden. Pro familia hat in einer von ihr in Auftrag gegebenen Erhebung zeigen können, wie uneinheitlich und unterschiedlich sich die Praktiken, Verfahren und Rahmenbedingungen darstellen (vgl. pro familia Bundesverband 2015, S.13).

Obgleich diese Angebote von Kommunen für einige Frauen individuelle Erleichterung bedeuten, muss auf die strukturellen Defizite hingewiesen werden:

  • Die Angebote sind je nach Voraussetzungen und Verfahren unterschiedlich. Für Betroffene gibt es keine Verlässlichkeit.
  • Nicht selten reichen die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel nicht für all diejenigen aus, die die Unterstützung in Anspruch nehmen möchten.
  • Ebenso werden häufig die freiwilligen Leistungen kaum beworben, sodass nicht sichergestellt ist, dass alle Anspruchs berechtigten davon wissen können.
  • Es ist eine »Postleitzahlen-Lotterie« entstanden, die den Zugang zu Unterstützungsleistungen vom Wohnort abhängig machen.

Übersehen werden darf dabei auch nicht: An den meisten Orten gibt es überhaupt keine Angebote. Auch das ist ein Ergebnis der genannten Erhebung im Auftrag von pro familia.

Internationaler Bezugsrahmen: Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte

Der Konzeption des Modellprojekts liegt die Überzeugung zugrunde, dass der selbstbestimmte Zugang zu sicheren und verträglichen Verhütungsmitteln im Rang eines individuellen Menschenrechts steht. Hierbei bezieht sich pro familia auf internationale Vereinbarungen. Das Menschenrecht auf Familienplanung wurde erstmals 1968 von den Vereinten Nationen in Teheran verkündet und 1995 in der Charta der sexuellen und reproduktiven Rechte von der International Planned Parenthood Federation (IPPF) ausformuliert. Frauen und Männer haben demnach das grundlegende Recht, über die Anzahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt frei zu entscheiden. Darin heißt es außerdem: »Alle Personen haben das Recht, eine sichere und für sie akzeptable Methode zum Schutz vor ungeplanter Schwangerschaft frei zu wählen und anzuwenden« (IPPF 1996, S. 18).

Bestätigt wird dies auch in Dokumenten der internationalen Staatengemeinschaften. Ein Meilenstein war das Aktionsprogramm der Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen, die 1994 in Kairo unter Beteiligung von 160 Nationen und über 3000 Nichtregierungsorganisationen stattgefunden hat. Dort wurde das neue Paradigma der reproduktiven und sexuellen Gesundheit und Rechte vereinbart. Ein grundlegender Bestandteil ist der frauenspezifische und individuelle Rechteansatz, der den bis dahin dominierenden bevölkerungspolitischen Ansatz in der Entwicklungspolitik und Familienplanung ablöste. Herausragende Themen der Kairo-Konferenz waren die sexuelle und reproduktive Gesund heit und die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung und, damit verbunden, das Empowerment von Frauen und Mädchen, die in besonders intensiver Weise von der Qualität und Erreichbarkeit der Angebote für Verhütung und reproduktive Gesundheit abhängig und von den Folgen von Armut betroffen sind.

Es folgten verschiedene Bekräftigungen dieses Paradigmas, wie beispielsweise eine Resolution der parlamentarischen Versammlung des Europarats (2008), und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO 2014). Weitere wegweisende internationale Vereinbarungen sind die globalen Millennium Development Goals (MDG) und die Sustainable Development Goals (SGD), indem sie die Forderung nach Zugang zu reproduktiven Gesundheitsangeboten und Verhütung als Recht und Voraussetzung für Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen betonen.

Diese internationalen Vereinbarungen und Willensbekundungen bestärken das Anliegen des Modellprojekts, den Zugang zu Verhütung umfassend zu verstehen und damit neben den finanziellen Aspekten die Selbstbestimmung, die Wahlfreiheit und den Zugang zu Beratung und verständlichen Informationen in den Mittelpunkt zu stellen.

Konzeption des Modellprojekts »biko«

Die Befunde der Ausgangssituation in Deutschland und die (internationale) Rahmung des Zugangs zu Verhütung sind die Leitlinien des Modellprojekts. In der konkreten Planung und Realisierung wurden sowohl Erfahrungen aus vorangegangenen ähnlichen Projekten berücksichtigt als auch die Expertise von pro-familia-Beratungsstellen mit Erfahrungen in regionalen Kostenübernahme-Modellen einbezogen.

Die Ziele des Modellprojekts sind

  1. die Vermeidung von Schwangerschaftskonflikten,
  2. die Erfassung des Bedarfs an finanzieller Unterstützung und der Bedingungen für Sicherstellung der Wahlfreiheit und selbstbestimmte Entscheidungen bei Verhütungsmitteln, exemplarisch an den lokalen Projektstandorten, und
  3. das Ausloten von Möglichkeiten für eine bundesweite gesetzliche Lösung zum Rechtsanspruch auf Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Frauen mit wenig Geld.

Um insbesondere das zweite Ziel zu erreichen – die Erfassung des Bedarfs –, wird das gesamte Projekt mit einer wissenschaftlichen Evaluation begleitet. Es findet sowohl ein Monitoring der Inanspruchnahme als auch eine qualitative Untersuchung statt. Die Befragung fokussiert auf Erfahrungen, Barrieren und Bedarfe der einzelnen projektrelevanten Gruppen. Damit die Ziele erreicht werden können, findet ergänzend eine intensive Öffentlichkeitsarbeit statt. Im ersten Jahr wurde entsprechend eine Webseite erstellt, Flyer für die Standorte wurden in zehn Sprachen übersetzt, Plakate und andere Hilfsmittel für die Öffentlichkeitsarbeit entwickelt. Damit soll erreicht werden, dass alle anspruchsberechtigten Frauen an den Standorten das Angebot kennen. Da bei diesem Thema die Mund-zu-Mund-Propaganda zentral ist, wurde eine Laufzeit der Kostenübernahme von 30 Monaten gewählt, damit sich ihre Wirkung entfalten kann.

Zur Erreichung der Ziele wurden Projektsäulen entworfen, die das Fundament des gesamten Modellprojekts bilden.

1. Säule: Erprobung einer guten Praxis der Kostenübernahme – Niedrigschwelligkeit und Beratung

Die gute Praxis zur Kostenübernahme von verschreibungs pflichtigen Verhütungsmitteln findet im Zusammenhang mit rechtebasierter, freiwilliger, diskriminierungsfreier und individueller psychosozialer Beratung und gut verständlichen Informationen zu Verhütung und Familienplanung in und durch Schwangerschaftsberatungsstellen statt. Hierbei sind zwei Aspekte besonders relevant: die Niedrigschwelligkeit und das Beratungsangebot. Niedrigschwellige Verfahren helfen, Barrieren abzubauen. Hier geht es z. B. um leichte Verständlichkeit der Informationen, um gute Erreichbarkeit der Beratungsstelle, um einen geringen bürokratischen Aufwand und darum, den Frauen doppelte oder unnötige Wege und Kosten zu ersparen. Ein niedrigschwelliges Verfahren hilft, diejenigen Frauen zu erreichen, die besonders auf die Unterstützung des Modellprojekts angewiesen sind. Mit der Kostenübernahme ist ein freiwilliges, kostenfreies Beratungsangebot verknüpft. Frauen können sich bei Bedarf zur Kostenübernahme, zu Verhütungsmethoden und Familienplanung sowie allen angrenzenden psychosozialen Themen beraten lassen. Denn in die Entscheidung für ein passendes Verhütungsmittel fließen Aspekte mit ein, die das Thema Partnerschaft und Sexualität betreffen. Vielen fällt es schwer, über diese persönlichen Themen mit dem behandelnden Gynäkologen oder der Gynäkologin zu sprechen. Eine menschenrechtsbasierte Verhütungsberatung kann hier alle Menschen unterstützen, um zusätzliche individuelle Informations- und Beratungsbedarfe abzudecken und Barrieren abzubauen. Sie ist für diejenigen besonders notwendig, die größeren Unterstützungsbedarf haben, wie z. B. für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie benötigen einen Rahmen, in dem sie Fragen stellen können und Informationen in einer leicht verständlichen Sprache bekommen.

2. Säule: Kooperationspartner Arztpraxen und Apotheken

Im Modellprojekt nimmt die Kooperation zwischen den Arztpraxen, Apotheken und Schwangerschaftsberatungsstellen eine zentrale Rolle ein. Sie sind wichtige Multiplikatoren, um das Angebot bekannt zu machen. Zudem werden die Verhütungsmittel im Modellprojekt direkt mit den Arztpraxen und Apotheken abgerechnet, somit ist keine Vorleistung notwendig. Arztpraxen beteiligen sich, indem sie sich bereit erklären, die Kosten für verschreibungspflichtige Verhü tungsmittel und dazugehörige ärztliche Leistungen direkt mit pro familia abzurechnen. Die Apotheken unterstützen »biko«, indem sie die verschriebenen Verhütungsmittel nach Vor lage von »biko«-Zusage und Rezept herausgeben und ebenfalls mit pro familia abrechnen. Insofern stand zu Beginn des Projekts die Netzwerkarbeit der Beraterinnen im Vordergrund: Über »biko« wurde in Facharbeitskreisen informiert; auch die einzelnen Artpraxen und Apothe ken wurden aufgesucht und um Mitarbeit gebeten. Die Resonanz ist bisher sehr positiv, sowohl hinsichtlich der Bereitschaft, im Modellprojekt zu kooperieren, als auch bei einer schriftlichen Befragung der Kooperationspartner mitzuwirken.3 Auch Behörden, Ämter, Beratungsstellen und soziale Einrichtungen sind wichtige Kooperationspartner, da sie Frauen mit wenig Geld über »biko« informieren.

3. Säule: Identifikation von Barrieren im Zugang zu selbst gewählten Verhütungsmitteln und selbstbestimmten Entscheidungen

Die Identifikation von Barrieren ist eine weitere zentrale Säule, um die Arbeit im Modellprojekt begleitend zu überprüfen und weiterzuentwickeln. In der Konzeption wurde darauf geachtet, dass die Informationen über das Projekt in ausreichend viele Sprachen übersetzt werden konnten. Die Flyer liegen in Arabisch, Bulgarisch, Deutsch, Englisch, Farsi, Französisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch und in Leichter Sprache vor. Zudem bieten die pro-familia-Beratungsstellen vor Ort Videodolmetschen an. Das ist ein unkomplizierter Weg, schnell auf professionelle Übersetzungsdienste zuzugreifen und sich mit Frauen zu verständigen, die nur wenig oder gar kein Deutsch sprechen. Diskriminierungssensibilität und Niedrigschwelligkeit zeigen sich in strukturellen Rahmenbedingungen, aber auch in der Alltagspraxis, etwa in der Beratungshaltung oder im ersten Kontakt am Telefon. Auch hier gilt es, vorhandene Barrieren zu erkennen und im Laufe des Projekts abzubauen. Die begleitende Evaluation hat die Aufgabe, die Barrieren im Zugang zu dem Angebot zu erfassen und bereits im laufen den Projekt zurückzuspielen.

Ausblick: Hoher Bedarf und umfassende Nachfrage

Die Erfahrungen im ersten Jahr zeigen, dass das Angebot auf eine hohe Akzeptanz bei den Kooperationspartnern und auf eine große Nachfrage bei den anspruchsberechtigten Frauen trifft. Beispielsweise konnte der Standort Lübeck bereits Anfang 2017 vermelden, dass alle ansässigen Arztpraxen mit »biko« zusammenarbeiten. Alle Standorte haben regelmäßig volle Terminkalender. Auch die überregionale Presse hat ausführlich berichtet. Über die Webseite gibt es mitunter Anfragen von Frauen bundesweit, ob es für sie Möglichkeiten der Kostenübernahme gibt, obwohl sie nicht an einem der sieben Standorte leben. Leider können wir diese Frauen nur auf mögliche kommunale Angebote verweisen. Auch an den Standorten gibt es immer wieder Anfragen von Menschen, die zwar wenig Geld zur Verfügung haben, dies aber nicht ausreichend nachweisen können. Auch diese Fälle werden in der abschließenden Evaluation Erwähnung finden.

Fussnoten

 1 Maßgeblich für diesen Befund sind die Ergebnisse der Studie »frauen leben 3« der BZgA (2016), vgl. aber auch Gäckle 2006 und Busch/Nitz 2014.

2 Bis zum vollendeten 20. Lebensjahr übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel. Privat versicherte junge Frauen bis 20 müssen die Kosten selbst tragen.

3 Die Befragung der Kooperationspartner wird im Rahmen der Evaluation durchgeführt und ausgewertet.

Literaturangaben

Busch, U. & Nitz, T. (2014). Pille oder Risiko. Studie zum Verhütungsverhalten unter ALG-II-Bezug. In: pro familia magazin 1, S. 28–29.

BZgA (2016): »frauen leben 3«. Familienplanung im Lebenslauf von Frauen – Schwerpunkt: Ungewollte Schwangerschaften. Eine Studie im Auftrag der BZgA von Cornelia Helfferich, Heike Klindworth, Yvonne Heine, Ines Wlosnewski. Köln.

Gäckle, A. (2006). Familienplanung gibt es praktisch nur theoretisch – Auswirkungen von Harz IV auf das Kontrazeptionsverhalten von Hartz IV-Empfängerinnen in Nordrhein-Westfalen im Kontext der Schwangerschafts(konflikt)beratung. Masterarbeit. Hochschule Merseburg.

IPPF (1996). Charta der sexuellen und reproduktiven Rechte Charta. [https://www.profamilia.de/fileadmin/profamilia/ippf_charta.pdf, rev. 29.9.2017]

Parlamentarische Versammlung des Europarates (2008). Resolution 1607: Access to safe and legal abortion in Europe. [http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=17638&lang=en; rev. 29.9.2017]

pro familia Bundesverband (2015). Regionale Kostenübernahmemodelle für Menschen mit geringen Einkommen. Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung bei Schwangerschaftsberatungsstellen vor Ort. Frankfurt. [https://shop.profamilia.de/fileadmin/publikationen/Fachpublikationen/hintergrund_erhebung_verhuetungskosten_2015-9-30_web.pdf, rev. 6.10.2017]

WHO (2014). Ensuring human rights in the provision of contraceptive information and services. Guidance and recommendations. [

http://www.who.int/reproductivehealth/publications/family_planning/human- rights-contraception/en/ rev. 29.9.2017]

 

Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

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Kristina Nottbohm
Kristina Nottbohm hat Sozial- und Kommunikationswissenschaften in Deutschland und Frankreich studiert. Seit 2016 ist sie Fachreferentin beim pro familia Bundesverband und leitet das Modellprojekt »biko«.

Dr. Alexandra Ommert
Dr. Alexandra Ommert ist Gesellschaftswissenschaftlerin und leitet das Modellprojekt »biko«. Sie ist außerdem Fachreferentin für Fort- und Weiterbildung beim pro familia Bundesverband.

 

Alle Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

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Frauen, die Sozialleistungen beziehen, verhüten seltener als Frauen mit mittlerem und höherem Einkommen. Sie nutzen häufiger Kondome und seltener Verhütungspille und -spirale. Die von Cornelia Helfferich geleitete Studie »frauen leben 3« im Auftrag der BZgA zeigt, dass Frauen mit geringem Einkommen aus Kostengründen unsicher verhüten und so ein ungleich höheres Risiko tragen, unbeabsichtigt schwanger zu werden.
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