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FORUM 2–2017

Geringes Einkommen, Sozialleistungsbezug und Verhütung

Prof.in Dr.in Cornelia Helfferich , Informationen zu den Autorinnen/Autoren

Aktualisierte Ergebnisse der BZgA-Studie »frauen leben 3«

Sind für Frauen mit geringem Einkommen die Kosten ein Grund, nicht mit Pille oder Spirale zu verhüten, und werden dadurch ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche riskiert?
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Sind für Frauen mit geringem Einkommen die Kosten ein Grund, nicht mit Pille oder Spirale zu verhüten, und werden dadurch ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche riskiert?

Geringes Einkommen, Sozialleistungsbezug und Verhütung

Aktualisierte Ergebnisse der BZgA-Studie »frauen leben 3«

Sind für Frauen mit geringem Einkommen die Kosten ein Grund, nicht mit Pille oder Spirale zu verhüten, und werden dadurch ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche riskiert?

Diese beiden Fragen werden gestellt, seit 2005 im Rahmen der Hartz-IV-Regelung der Regelsatz von Sozialleistungsempfängerinnen keine monatlichen Ausgaben für Verhütung mehr umfasst. Sie gewinnen im Zusammenhang mit dem Modellprojekt »biko« 1 an Aktualität, bei dem Bezieherinnen von Sozialleistungen bzw. Frauen mit geringem Einkommen die Kosten für Verhütung erstattet bekommen können. Die Studie »frauen leben 3. Familienplanung im Lebenslauf von Frauen«, die das Sozialwissenschaftliche Frauen ForschungsInstitut Freiburg 2011 bis 2017 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durch führte, bejaht beide Fragen auf der Basis der Angaben von 8 501 20- bis 44-jährigen Frauen in sieben Bundesländern sowie der 97 mit Frauen aus dieser Stichprobe geführten qualitativen Interviews.

Erste Ergebnisse der Studie »frauen leben 3« zu dem Einfluss der finanziellen Situation auf die Verhütung, wurden 2015 und 2016 vorgestellt (Helfferich 2015, 2016; BZgA 2016, S. 132). 2016 wurde die Stichprobe der Studie um weitere 4 519 Frauen in drei Bundesländern erweitert. Damit sind auch dort, wo vorher die Fallzahlen zu klein waren, detaillierte Auswertungen möglich. Zunächst wird in diesem Beitrag der Zusammenhang zwischen der finanziellen Lage und speziell dem Bezug von Sozialleistungen einerseits und der aktuellen Verhütung andererseits geprüft. Anschließend wird ausgewertet, ob Frauen je nach ihrer finanziellen Lage häufiger oder seltener jemals in ihrem Leben aus Kostengründen auf Pille oder Spirale verzichtet haben, ungewollt schwanger wurden und Schwangerschaften abgebrochen haben.

Die Studie bietet verschiedene Möglichkeiten, das Einkommen zu bestimmen: als persönliches Einkommen, als (gewichtetes) Haushaltseinkommen, als subjektive Einschätzung zwischen 1 (»sehr gut«) und 6 (»sehr schlecht«). Zusätzlich wurde nach dem Bezug von Sozialleistungen gefragt.2 Für die Auswertung wird eine Kombination der subjektiven Einschätzung3 und des Sozialleistungsbezugs verwendet, die sehr gut mit den anderen Einkommensmessungen korrespondiert (eine negative Bewertung geht mit einem niedrigen Haushalts- und persönlichen Einkommen einher). Ob und wie eine Partnerschaft gelebt wird, beeinflusst die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr und auch die Wahl der Verhütung. Daher muss berücksichtigt werden, dass – wie allgemein in allen Sozialstatistiken belegt Alleinstehende bzw. Allein erziehen de auch in der Stichprobe von »frauen leben 3« häufiger unter den finanziell schlechter Gestellten und den Sozialleistungsbezieherinnen zu finden sind (Abb. 1).

Einkommen und Verhütung

Ein Ergebnis der Studie »frauen leben 3« ist, dass Frauen im Sozialleistungsbezug erstens häufiger nicht verhüten und zweitens dann, wenn sie verhüten, seltener Pille oder Spirale und häufiger Kondome nutzen. Sie haben sich auch häufiger sterilisieren lassen (Abb. 2 und 3).
Abbildung 2 bezieht diejenigen ein, die nicht verhüten. Dieser Anteil ist mit 29,1% bei den Sozialleistungsbezieherinnen am höchsten und am zweithöchsten bei Frauen mit einer negativ bewerteten finanziellen Situation ohne Leistungsbezug. Die Gründe, nicht zu verhüten, sind bei finanziell besser und schlechter Gestellten unterschiedlich: Während 53,4 % der Sozialleistungsbezieherinnen nicht verhüten, weil sie keine sexuellen Kontakte haben (und sogar 88 % der alleinstehenden Sozialleistungsbezieherinnen geben dies an), verhüten aus diesem Grund nur 27,6 % derjenigen nicht, die ihre finanzielle Lage als gut oder sehr gut einschätzen. Umgekehrt verhüten die besser Gestellten häufiger nicht, weil sie ein Kind bekommen möchten oder schwanger sind (zu 54,7 %). Dieser Grund wird von den Leistungsbezieherinnen seltener genannt (zu 21,1 %).

Abb. 1 Lebensform – nach finanzieller Situation

Abb. 2 Aktuelle Verhütung – nach finanzieller Situation, berechnet auf alle Frauen

Abb. 3 Aktuelle Verhütung – nach finanzieller Situation, berechnet auf Verhütende

 Die Abbildungen 2 und 3 zeigen beide (mit unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen4) eine Besonderheit der Leistungsbezieherinnen: Sie verhüten seltener mit der Pille oder Spirale und häufiger mit Kondomen. Der Anteil derjenigen, die die Pille oder die Spirale nutzen, beträgt zusammengenommen gerade einmal 47 Prozent, während der Anteil sonst bei etwa 62 Prozent liegt. Hier unterschieden sich die Leistungsbezieherinnen auch von denen, die ihre finanzielle Situation als schlecht einschätzen, aber keine Sozialleistungen beziehen. Auch bei der Kondomnutzung nehmen die Leistungsbezieherinnen eine Sonderrolle ein: Der Anteil der Kondomnutzerinnen liegt bei ihnen um 10 Prozentpunkte höher als bei allen anderen und macht ein Drittel aus. Der höhere Anteil an Frauen mit einer Sterilisation bei den Leistungsempfängerinnen kann dadurch erklärt werden, dass unter den Frauen mit niedrigem Einkommen mehr Frauen sind, die ihre Kinder in jüngerem Alter bekommen haben, so dass sie früher die Familienplanung abschließen.5

Nun wäre eine mögliche Erklärung, dass die Frauen ohne eine feste Partnerschaft – und diese sind unter den Sozialleistungsbezieherinnen häufiger anzutreffen – zu Kondomen übergehen, weil es selten zu Geschlechtsverkehr kommt. Doch darauf lässt sich die häufigere Kondomnutzung unter den Leistungsempfängerinnen nicht zurückführen: Abbildung 4 und noch deutlicher Abbildung 5 zeigen (wieder mit unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen), dass gerade diejenigen, die unverheiratet zusammenleben, am häufigsten Kondome nehmen und gerade mal 34,6 Prozent Pille oder Spirale nutzen. Die Alleinstehenden mit oder ohne Kind kommen immerhin auf einen Anteil von 60,2 Prozent, die Pille oder Spirale zur Verhütung nehmen.

Sowohl unter den jüngeren (unter 35 Jahre) wie unter den älteren (35 Jahre und älter) Sozialleistungsempfängerinnen ist die Pillennutzung vergleichsweise geringer. Der Unterschied zu anderen Einkommenslagen ist aber deutlicher bei den Jüngeren: die Pille wird hier von 43,7 Prozent genommen, während sie bei den anderen Einkommenslagen von zwischen 60,9 Prozent und 61,9 Prozent der Frauen genommen wird. Über 35 Jahre nutzen 27,8 Prozent der Sozialleistungs empfängerinnen die Pille und der Unterschied zu den anderen Einkommens lagen ist nicht signifikant; dort verhüten zwischen 31 Prozent und 34 Prozent mit der Pille. Die Differenz bei der Nutzung von Kondomen ist ebenfalls bei den jüngeren Leistungsbezieherinnen deutlich aus geprägt: 39,5 Prozent nutzen sie, verglichen mit zwischen 25,4 Prozent und 26,6 Prozent bei Frauen in den anderen Einkommenslagen. Die über 35-jährigen Leistungsbezieherinnen verhüten zwar immer noch häufiger mit Kondomen (25,6 % gegen über 18 % bis 20 % bei den anderen Einkommenslagen), aber das ist nicht mehr signifikant. Die seltenere Verwendung der Spirale ist nur bei den Älteren, nicht bei den Jüngeren signifikant. Festzuhalten ist, dass die Verschiebung weg von der Pille hin zur Nutzung von Kondomen vor allem in einem Alter zu finden ist, in dem die sexuelle Aktivität verbreiteter ist. Und dies gilt vor dem Hintergrund, dass sich Frauen mit niedrigem Einkommen bzw. mit Sozialleistungsbezug eher etwas zurückhaltender äußern, was einen Kinderwunsch in naher Zukunft angeht, sodass sie umso mehr einer sicheren Verhütung bedürfen.

Abb. 4 Genutzte Verhütung der Frauen mit Leistungsbezug – nach Lebensform, berechnet auf alle

Abb. 5 Genutzte Verhütung der Frauen mit Leistungsbezug – nach Lebensform, berechnet auf alle, die verhüten

Abb. 6 Verzicht auf Pille und Spirale – nach finanzieller Situation

Bei den über 35-Jährigen sind die Unterschiede in der Nutzung von Kondom und Pille nicht mehr so stark, dass sie Signifikanz erreichen, aber die älteren Sozialleistungsbezieherinnen nutzen signifikant seltener die Spirale. 14,3 Prozent haben dieses Mittel gewählt im Gegensatz zu zwischen 19 und 23,2 Prozent bei den anderen finan ziellen Lagen. Bei den unter 35-Jährigen unterschiedet sich die Nutzung der Spirale nicht nach finanzieller Situation.

Eine weitere Auswertung bestärkt die Problemanzeige: Eine international übliche Kennziffer für die Versorgung mit Verhütungsmitteln ist der »unmet need«, der unerfüllte Bedarf. Ausgedrückt wird dieser als Anteil derjenigen, die Geschlechtsverkehr haben, also schwanger werden könnten, und keinen Kinderwunsch haben, aber nicht verhüten. Dieser Anteil ist bei den finanziell schlecht Gestellten ohne Leistungsbezug mit 5,7 % am höchsten, gefolgt von den Leistungsbezieherinnen mit einem Anteil von 4,1 Prozent. Bei einer als (sehr) gut eingeschätzten finanziellen Lage beträgt der »unmet need« 3,3 Prozent, bei einer mittleren Lage 3,1 Prozent.

Jemals Verzicht auf Pille oder Spirale aus Kostengründen

Eine Frage in dem Fragebogen lautete: »Gab es in Ihrem Leben Phasen, in denen Sie aus Kostengründen nicht mit der Pille oder Spirale verhütet haben?« 2012 konnte die Frage mit »Ja« und »Nein« beantwortet werden, 2016 konnte zusätzlich mit »Ja, einmal« und »Ja, mehrmals« differenziert werden. Bei einem schlechten Einkommen wurde häufiger jemals auf Pille oder Spirale verzichtet; kommt ein Sozialleistungsbezug hinzu, steigt der Anteil derjenigen, die ein- oder mehrmals auf diese Formen der Verhütung verzichtet haben, auf 25 Prozent (Abb. 6).

Weiterhin wurde nach dem Alter bei solchen Episoden gefragt. Diese Episoden kamen in jungen, mittleren oder höhe ren Jahren vor. Um etwas über die Kontexte solcher (biografisch zurückliegenden) Episoden zu erfahren, wurden die qualitativen Interviews mit denjenigen Frauen herangezogen, die in der Fragebogenbefragung solche Episoden des Ver zichts auf Pille oder Spirale angegeben hatten. Diese Kontexte erweisen sich als alters- bzw. lebensphasen abhängig:

  • Bei Episoden in einem jungen Alter bzw. vor dem ersten Kind ging es um Geld für die Pille. Geldmangel in dieser Lebensphase hing zusammen mit einem geringen Verdienst in der Ausbildung und bei prekären Jobs oder mit einem erhöhten Finanzierungsbedarf, etwa bei Drogenkonsum. Spezifisch für Verzichtsepisoden in jungen Jahren war auch fehlende Sexualaufklärung oder das Aufwachsen in einer Familie, die Sexualität tabuisierte, sodass vermutet werden kann, dass das Wissen um die Möglichkeit einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse bei einem Alter von unter 20 Jahren fehlte. Kosten spielten auch im Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten eine Rolle. »Da hatt’ ich dann grad, als ich dann schwanger geworden bin, in der Zeit grade keine Pille, weil des Geld bisschen sehr knapp war. Wir haben aufgepasst, wir hatten dann mit Kondom auch verhütet in der Zeit gehabt, aber hat nicht ganz geklappt (lacht), ja.« (2-BN-07)
  • Bei Episoden in einem mittleren Alter bzw. von Müttern fehlte das Geld angesichts einer zugespitzten finanziell prekären Situation, etwa bei Schulden, bei Alleinerziehenden oder bei längerer Arbeitslosigkeit. Das Argument der zu hohen Kosten für Verhütung wurde vor allem abgewogen mit dem Argument, dass die Frau doch nicht so sehr häufig Geschlechtsverkehr hatte und von daher teure Verhütung sich nicht lohnte. Oder die Kosten gaben bei einer allgemeinen Abneigung »gegen Hormone« den letzten Ausschlag. Verhütung gilt angesichts knapper Kassen als »überteuert«, und, wie eine Befragte es formuliert: »(…) auch die Pille ist teuer. Wenn du überlegst, ein halbes Jahr 60 Euro kann sich auch nicht jeder leisten. Kommt drauf an, was man für ne Pille nimmt, einige sind noch viel teurer (…). Es gibt einfach Sachen, wo viele dann drauf verzichten, weil’s einfach zu teuer ist.« (4-AD-01) »Eigentlich will ich nicht so viel Tabletten schlucken oder halt genau diese … irgendwas in mich reinpumpen (lacht) so, genau, und das ja, und ja ist auch teuer.« (4-DP-11)
  • Im Beispiel einer abgeschlossenen Familienplanung geht es um die Spirale. Hier fehlte das Geld für das einmalige Einlegen der Spirale vor dem Hintergrund vor allem eines Sozialleistungsbezugs: »Hab mich erkundigt wegen Spirale, weil ich wollte ne Kupferspirale haben (…). Ja gut, dann haben sie mir halt gesagt, dass die vier-, fünf-, SECHShundert Euro kostet. Wie soll ich das machen als Hartz-IV-Empfänger? Krieg ich da Bezuschussung? Diese, jenes: NEIN nein nein nein, nur wenn’s eine medizinische Notwendigkeit ist. Gut, dann NICHT. So, und dann, wie gesagt, schwanger mit der Kleinen.« (4-DP-14)

Abb. 7 Jemals unbeabsichtigt oder ungewollt schwanger oder Schwangerschaftsabbruch – nach finanzieller Situation,berechnet auf alle jemals Schwangeren

Abb. 8 Jemals unbeabsichtigte, ungewollte und abgebrochene Schwangerschaften – nach finanzieller Situation

Abb. 9 Jemals unbeabsichtigte, ungewollte und abgebrochene Schwangerschaften – nach jemals Verzicht auf Pille oder Spirale

Diese qualitative, explorative Analyse lieferte drei Erkenntnisse: Erstens war der Rahmen einer solchen Verzichtsepisode immer eine schwierige bis sehr prekäre finanzielle Situation. Zweitens ging das Kostenargument meist einher mit anderen Argumenten bei der Abwägung, wie verhütet wird, und gab dann den letzten Ausschlag. Drittens stellt die Pille mit ihren monatlichen Kosten und die Spirale mit einem einmaligen, höheren Betrag unterschiedliche finanzielle Anforderungen an die Nutzerinnen. Häufigkeit unbeabsichtigter, ungewollter und abgebrochener Schwangerschaften

Frauen, die zum Befragungszeitpunkt staatliche Unterstützungsleistungen beziehen, sind in der Vergangenheit häufiger unbeabsichtigt schwanger und ebenso ungewollt schwanger geworden (Abbildung 7 und 8 mit zwei unterschiedlichen Bezugsgrößen berechnet). »Unbeabsichtigt« umfasst die Ein ordnungen der Schwangerschaft als »gewollt, aber sie sollte später eintreten«, »zwiespältig/unentschieden« und »unge wollt«. Dies entspricht dem internationalen Standard (»unintended pregnancy«). Die »ungewollt« eingetretenen Schwan gerschaften sind somit eine Teilmenge der »unbeab sichtigt« eingetretenen (BZgA 2016, S. 21 ff.). Auch haben Frauen mit schlechtem Einkommen und insbesondere mit Sozialleistungsbezug häufiger bereits eine Schwangerschaft abgebrochen. Analysiert man dies genauer, so sieht man einen klaren Zusammenhang: Gerade diejenigen, die jemals auf die Pille oder Spirale verzichtet haben, wurden häufiger unbeabsichtigt bzw. ungewollt schwanger und haben auch häufiger Schwangerschaften abgebrochen (Abb. 9).

Der statistische Zusammenhang kann in beide Richtungen gedeutet werden: Frauen mit wenig Geld und/oder im Sozialleistungsbezug weichen häufiger auf billigere, aber weniger wirksame Verhütungsmittel aus und werden häufiger ungewollt schwanger. Umgekehrt kann aber auch eine ungewollte Schwangerschaft in jungen Jahren, die akzeptiert und nicht abgebrochen wurde, zum Sozialleistungsbezug geführt haben. Die Schwangerschaften mit dem ersten Kindwaren bei den aktuellen Leistungsbezieherinnen zu 20,1 Prozent ungewollt und nur 49,2 Prozent waren gewollt auf den Zeitpunkt hin eingetreten – ein verglichen mit anderen Einkommenslagen deutlich niedrigerer Anteil intendierter erster Geburten. Eine frühe Mutterschaft beschädigt aber Ausbildungschancen, und dies (zusammen mit der Sorge für ein kleines Kind oder Kinder) beeinträchtigt die Chancen auf einen guten Arbeitsplatz und einen guten Verdienst und kann zum Sozialleistungsbezug führen.

Diskussion

Seit 2005 sind Verhütungskosten in dem Budget einer Sozialleistungsempfängerin nicht mehr angesetzt. Der Regelsatz enthält 17,59 Euro für die Gesundheitspflege – ein ohnehin niedriger Satz, weil davon alle Medikamente und sonstigen gesundheits- oder krankheitsbezogenen Ausgaben abzudecken sind. Bis zu einem Alter von 20 Jahren werden Verhütungsmittel von der Krankenkasse erstattet. Für diejenigen Sozialleistungsbezieherinnen, die älter sind, gibt es die Möglichkeit einer Kostenübernahme nur in einigen Kommunen als freiwillige Leistung – mit sehr unterschiedlicher Ausgestaltung (Staender/Thonke 2015). Problematisiert wurde diese Situation schon früh (z. B. Kleber 2006), und in Berlin wurde eine kleine Studie zur Verhütung bei Sozialleistungsbezieherinnen 2013 durchgeführt (Nitz/Busch 2014).

Wie wichtig eine solche Übernahme der Kosten ist, zeigen die Daten der Studie »frauen leben 3« nachdrücklich. Ein höherer Anteil der Sozialleistungsbezieherinnen lebt ohne einen Partner und verhütet nicht mit der Begründung, keine sexuellen Kontakte zu haben. Offen ist aber, ob und wie diese Befragten verhüten würden, wenn sich sexuelle Kontakte anbahnen würden. Ganz ohne Risiko ist daher das Nichtverhüten aufgrund derzeit fehlender sexueller Kontakte nicht. Die qualitativen Interviews zeigen, dass die Investition in Verhütung, insbesondere bei seltenem Geschlechtsverkehr, gegen das Risiko, schwanger zu werden, abgewogen wird. Die tägliche Einnahme der Pille oder das Einsetzen der Spirale scheinen dann mit ihren Kosten in keinem Verhältnis zum erforderlichen Schutz zu stehen. Für diejenigen Sozialleistungsbezieherinnen, die verhüten, ist das Ausweichen auf Kondome anstelle der Verhütung mit Pille und Spirale klar belegt. Zur Sorge Anlass geben insbesondere die Ergebnisse, dass eher diejenigen unter den Sozialleistungsbezieherinnen, die nicht verheiratet mit einem Partner zusammenleben, und eher die Jüngeren, sexuell Aktiven, systematisch seltener die Pille nehmen und häufiger Kondome nutzen. Auch wenn umgekehrt ungewollt eingetretene und dann akzeptierte Schwangerschaften zum Sozialhilfebezug geführt haben können, so ist doch eine Nutzung von Kondomen aus Kostengründen riskanter und eine (erneute) ungewollt eingetretene Schwangerschaft wahrscheinlicher.

Eine Schlussfolgerung ist, dass es nicht nur um eine Kostenübernahme gehen kann, sondern die Informationen darüber zugänglich sein müssen. Dies zeigt das Beispiel des Verzichts auf Pille und Spirale (rückblickend) in einem Alter, in dem ein Anspruch auf Erstattung durch Krankenkassenbestand, was aber offensichtlich nicht bekannt war oder nicht genutzt werden konnte. Auch sind die altersspezifischen Bedarfe – auch der Wunsch nach Spirale und Sterilisation bei abgeschlossener Familienplanung – zu beachten.

Insgesamt legen die Daten konsistent nahe, dass eine Kostenübernahme für Verhütung bei Frauen mit einem geringen Einkommen der Prävention von ungewollten Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen dienen kann. Sie ist zudem ein Gebot der Gesundheitsförderung und notwendig für die Einlösung der reproduktiven Rechte. Und schließlich dient sie der Herstellung von Chancengleichheit unter Frauen. Ungewollt eingetretene (akzeptierte) Schwangerschaften, deren Wahrscheinlichkeit bei weniger wirksamer Verhütung höher ist, können den Sozialhilfebezug verfestigen und Erwerbs- und Bildungschancen bei gering verdienen den Frauen beeinträchtigen. Die Ergebnisse des Modellprojekts »biko« können weitere Erkenntnisse zu einer an gemessenen Versorgung mit Verhütungsmöglichkeiten bei Frauen mit geringem Einkommen liefern.

Fussnoten

1 Ein Projekt von pro familia, gefördert vom Bundesfamilienministerium, www.biko-verhuetung.de/ [Zugriff 13. 11. 2017]; s. a. den nachfolgenden Beitrag von K. Nottbohm und A. Ommert.

2 Gefragt wurde: »Erhalten Sie oder eine Person in Ihrem Haushalt staatliche Unterstützungsleistungen wie Hartz IV, Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung, Wohngeld oder Mietkostenzuschuss?«

3 Im Folgenden die Skalenwerte: »(sehr) gut« = 1 und 2, »mittel« = 3, »schlecht« = 4, 5 und 6 auf der 6-stufigen Skala. »schlecht« wird differenziert in mit/ohne Sozialleistungsbezug.

4 Abbildung 2 und 4 berechnen auf alle, Abbildung 3 und 5 berechnen auf alle, die verhüten.

5 Der Altersdurchschnitt und die Verteilung der Altersgruppen sind bei allen Einkommenslagen ähnlich

Literaturangaben

Helfferich, C. (2015). Geringes Einkommen als Hürde beim Zugang zu Verhütung. In: pro familia magazin 3, S. 10–13, verfügbar auch unter docplayer.org/17942161-Geringes-einkommen-als-huerde-beim-zugangzu-verhuetung.html

Helfferich, C. (2016). Bezug staatlicher Sozialleistungen und Verhütung. Ergebnisse der Studie »frauen leben 3«. In: BZgA (Hrsg.): Forum Sexualaufklärung und Familienplanung, 1/2016, S. 3–7.

BZgA (2016). »frauen leben 3«. Familienplanung im Lebenslauf von Frauen – Schwerpunkt: Ungewollte Schwangerschaften. Eine Studie im Auftrag der BZgA von Cornelia Helfferich, Heike Klindworth, Yvonne Heine, Ines Wlosnewski. Köln.

Kleber, M. (2006). Kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln. Überflüssiger Luxus oder kluge Sozialpolitik? In: pro familia Magazin 4, S. 27–29

Nitz, T. & Busch, U. (2014). »Pille oder Risiko?« Studie zum Verhütungsverhalten unter ALG-II-Bezug. In: pro familia Magazin 1, S. 28–29.

Staender, J. & Thonke, I. (2015). Regionale Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Menschen mit geringem Einkommen. In: Schattenblick – Politik 104, verfügbar unter

http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/soziales/m7po0104.html

 

Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

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Prof. Cornelia Helfferich

Cornelia Helfferich ist Professorin für Soziologie und Prorektorin an der Evangelischen Fachhochschule (EFH) Hochschule für Soziale Arbeit, Diakonie und Religionspädagogik, Freiburg. Sie ist zudem Leiterin des Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstituts an der Kontaktstelle praxisorientierte Forschung der EFH (SoFFI K.).

 

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Herausgebende Institution

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Frauen, die Sozialleistungen beziehen, verhüten seltener als Frauen mit mittlerem und höherem Einkommen. Sie nutzen häufiger Kondome und seltener Verhütungspille und -spirale. Die von Cornelia Helfferich geleitete Studie »frauen leben 3« im Auftrag der BZgA zeigt, dass Frauen mit geringem Einkommen aus Kostengründen unsicher verhüten und so ein ungleich höheres Risiko tragen, unbeabsichtigt schwanger zu werden.
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