Das im September 2006 gestartete Projekt "komm auf Tour – meine Stärken, meine Zukunft" ist ein Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. In NRW wird es in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit sowie regionalen Partnern zur Berufsorientierung und Lebensplanung durchgeführt.
Gleichzeitig stehen sie vor den ersten sexuellen Erfahrungen oder haben sie bereits erlebt und die Beziehungen der Geschlechter zueinander verändern sich.
Auch wenn die berufliche, partnerschaftliche und sexuelle Entwicklung unterschiedliche Zeitperspektiven haben, sind sie bei der Gestaltung des Lebenslaufs eng miteinander verbunden: Die Berufswahl kann durch spätere Familienpläne mit bestimmt sein, oder fehlende berufliche Entwicklungschancen können eine vorgezogene Familiengründung (Teenagerschwangerschaft) für Mädchen attraktiv machen.
"komm auf Tour" bietet einen neuen Zugang um den Zusammenhang von beruflicher Orientierung und Lebensplanung (Liebe, Freundschaft, Sexualität) zu thematisieren.
Im Folgenden werden das Projekt und die wesentlichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase von September 2006 bis Oktober 2007 in Nordrhein-Westfalen vorgestellt. Die folgenden Zitate und Zahlen (bis auf den Ausblick) sind dem ausführlichen Abschlussbericht der Evaluation zum 31. Dezember 2007 entnommen.
Bestandteile des Projekts
Zentraler Bestandteil des Projekts für die Jugendlichen ist der Erlebnisparcours. Jeweils zwei bis drei Schulklassen (ca. 60 Schülerinnen und Schüler) gehen mit Moderatorinnen und Moderatoren durch sechs Stationen auf Entdeckungsreise: vom Reiseterminal über den Zeittunnel ins Labyrinth und von der sturmfreien Bude über die Bühne in die Auswertung am Terminal II. Entsprechend der Auswahl der Stationsaufgaben und deren Lösungswege vergibt die Moderation verschiedene Stärkepunkte an die Schülerinnen und Schüler. An so genannten "Stärkeschränken" mit spannenden Materialcollagen erfahren die Jugendlichen, welche Berufsfelder und Ausbildungsberufe zu ihren Stärken passen.
Damit die persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Ausbildungs- und Lebensweg nach dem Parcours weiter geführt wird, bekommen alle Jugendlichen ihr persönliches "komm auf Tour-Logbuch".
Die Arbeitsbroschüre motiviert über Selbsttests, Fragebögen und Informationen zur Entwicklung eines realistischen Selbstbildes.
Für die Vorbereitung und Durchführung des Projekts wurde in allen Parcoursorten eine Institution identifiziert und gewonnen, die die Aufgaben der beteiligten regionalen Akteure koordinierte. Dazu gehören beispielsweise Arbeitsagentur, IHK, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, ausbildende Unternehmen, Schulämter, Übergangsmanagement Schule-Ausbildung-Beruf, pro familia, Ehe- und Familienberatungsstellen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Jugend- und Gesundheitsämter, Migrationsdienste, Vereine und Verbände.
In einem Workshop erhalten die Lehrkräfte vorab Informationen zum Parcours sowie ein methodisches Arbeitsheft für die Vor- und Nachbereitung in der Schule. Im Parcours werden sie von einem Lehrkräfte-Service betreut.
Die Eltern werden über einen mehrsprachigen Elternbrief zu einer Informationsveranstaltung eingeladen.
Eine "Elternspielkarte", die sie vorab bekommen, soll die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern fördern.
Das Innovative des Projekts
Das Innovative des Projekts besteht in
- dem Aufbau von nachhaltigen regionalen Vernetzungsstrukturen,
- der Verknüpfung der Themen Berufsorientierung und Lebensplanung,
- einer konsequenten Orientierung an den Stärken der Jugendlichen, die sonst häufig als Problemgruppe wahrgenommen werden,
- der 7. Klassen als Zielgruppe,
- der konsequenten Berücksichtigung der Geschlechterperspektive,
- dem spielerischen und interaktiven Charakter des Angebots.
Ausgangssituation struktureller Bedarf
Kooperation und Vernetzung von Einrichtungen aus den Bereichen Lebensplanung und Berufsorientierung sind bisher wenig verankert. An Schulen ist Berufsorientierung zwar ein wichtiges Thema, allerdings selten bereits in den 7. Klassen und nur wenige Lehrkräfte vermitteln Berufsorientierung und Lebensplanung als gemeinsames Unterrichtsthema.
Aus Sicht der regionalen Akteure des Projekts ist ein Bedarf an Kooperation und Vernetzung der Themen Lebensplanung und Berufsorientierung allerdings sinnvoll, was unter anderem durch folgende Aussagen unterstrichen wird: Berufsorientierung muss früher als in der 8. Klasse mit einem strukturierten Angebot anfangen.
Es besteht ein großer Bedarf an Kooperationsstrukturen, in die – jetzt neu – auch die Beratungsstellen zur Lebensplanung eingebunden sind.
"[...] nur so ein von außen kommender Erlebnisparcours bietet die Chance, weil dann jeder Träger sagt – ja Du musst aber auch mitmachen."
"Das Besondere ist, dass die beiden Arbeitsfelder normalerweise [...] nicht verzahnt sind, wir haben alle nicht den Arbeitsauftrag es zu verzahnen. Also ist das jetzt die neue Qualität, die einfach da ist.."
Das Projekt deckt den Bedarf, den regionale Kooperationspartner und Schulen für die Zusammenführung der Themen Berufsorientierung und Lebensplanung bereits in den 7. Klassen sehen und zu dem sie sich konkrete Projekt- und Umsetzungsstrategien wünschen.
Ausgangssituation konkreter Bedarf
- Studien der BZgA zeigen, dass sich eingeschränkte Berufsperspektiven bildungsferner Jugendlicher auch auf deren persönliche Lebensplanung auswirken können. In der Tendenz riskieren diese Jugendliche häufiger ungeplante Schwangerschaften und haben eher Schwierigkeiten, gleichberechtigte Beziehungen aufzubauen.
- Das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Thema Beruf ist groß, die Vorstellungen sind aber noch vage und eher stereotyp. Das Interesse am Thema Liebe/Sexualität ist abhängig vom kulturellen Hintergrund und Alter unterschiedlich groß. Im Unterschied zu Mädchen mit deutschem Hintergrund, die sich eher für Verhütung interessieren als Jungen, interessieren sich mehr Jungen mit türkischem Hintergrund dafür als Mädchen.
- Die Lehrkräfte bewerten die Passung von Projektidee und Interesse der Jugendlichen als sehr gut. Koordinationspartnerkreise und Eltern sehen ebenfalls Bedarf.
- Es gibt Bedarf bei den Eltern, die Kommunikation mit den Kindern zu verbessern. Über zwei Drittel meinen, dass sie wichtiger als Lehrerinnen und Lehrer sind, wenn es um Berufsorientierung und Lebensplanung ihrer Kinder geht.
Eckdaten, Anlage, Instrumente und Fragestellungen der Evaluation
Um die Akzeptanz und Wirkung des Projekts zu überprüfen, wurde vom Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstitut Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Helfferich die Pilotphase in Hagen, Soest, Bochum, Siegen, Iserlohn, Wenden/Olpe, Jülich und Düsseldorf vom September 2006 bis Oktober 2007 evaluiert. Die Aufgabe bestand darin, die Erreichung von Zielen, die Nachhaltigkeit und die Übertragbarkeit auf andere Kommunen in NRW und auf andere Schultypen des Projekts zu überprüfen.
Entsprechend der komplexen Struktur des Projekts mussten mehrere Ebenen untersucht, unterschiedliche Zielgruppen befragt und mehrere Ziele operationalisiert werden. Die wichtigsten Instrumente der Erhebung waren:
- systematisch dokumentierte Protokolle,
- Fragebögen für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrkräfte, Interviews mit Schülerinnen und Schülern, mit den regionalen Akteuren und Koordinationsstellen, mit Moderatorinnen und Moderatoren,
- teilnehmende Beobachtung im Parcours und bei Kooperationstreffen,
- Bewertung des Parcours durch die Jugendlichen und des Elternabends durch die Eltern.
Bei der wissenschaftlichen Begleitung handelte es sich um eine Prozess begleitende Evaluation: inhaltliche und methodische Anregungen aus der Evaluation wurden im Fortgang des Projekts aufgegriffen, beispielsweise wurden eine „Elternspielkarte“ und ein spezieller Service für Lehrkräfte im Umfeld des Parcours eingeführt.
Im Rahmen der Evaluation wurden folgende Fragestellungen verfolgt:
- Wie konnte das Projekt in den verschiedenen regionalen Strukturen implementiert werden?
- Besteht ein Bedarf an Maßnahmen zu Berufsorientierung und Lebensplanung bzw. an einer
- Verbindung der Aspekte? Wie wird die Projektidee in diesem Zusammenhang bewertet?
- Konnte das Projekt nachhaltig strukturell implementiert werden?
- Wurden die direkten und indirekten Zielgruppen erreicht?
- Wie wurde der Parcours und wie wurden die Materialien bewertet?
- Wurden die inhaltlichen Ziele bei Schüler und Schülerinnen, Kooperationspartnern, Lehrkräften und Eltern erreicht?