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FORUM 1–2023

Unheilbar queer? Konversionsbehandlungen in Deutschland erforschen – eine Annäherung

Klemens Ketelhut , Danijel Cubelic , Informationen zu den Autorinnen/Autoren
Konversionsbehandlungen sind das Thema eines von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geförderten Forschungsprojekts. Vorgestellt wird, welche Zugänge zu diesem wissenschaftlich noch wenig bearbeiteten Feld die Forschenden gewählt haben und welche weiteren Fragen erste Ergebnisse aufwerfen.

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Konversionsbehandlungen sind das Thema eines von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geförderten Forschungsprojekts. Vorgestellt wird, welche Zugänge zu diesem wissenschaftlich noch wenig bearbeiteten Feld die Forschenden gewählt haben und welche weiteren Fragen erste Ergebnisse aufwerfen.

Wissen zu Konversionsmaßnahmen in Deutschland

Konversionsbehandlungen sind »alle am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind« – so fasst es das am 24. Juni 2020 in Deutschland in Kraft getretene Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen (KonvBehSchG §1 (1)). Für den bundesrepublikanischen Kontext existierte bisher ausschließlich dezentrales, meist in aktivistischen Kontexten entstandenes Wissen sowie seit dem Jahr 2019 die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld kuratierte und publizierte »Wissenschaftliche Bestandsaufname zu Konversionsbehandlungen«.1

Leerstellen füllen

Um die Leerstelle der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu füllen und systematisch mehr über die Verbreitung, die Methoden und die Erfahrungen von LSBTIQA+1-Menschen mit Konversionsbehandlungen aussagen zu können, nahm am 1. Oktober 2022 das Projekt »Konversionsbehandlungen: Kontexte. Praktiken. Biografien.« seine Arbeit auf. Es wird von Mosaik Deutschland e. V. in Kooperation mit dem Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg durchgeführt und durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. 

Das Projekt wird von einem Fachbeirat unterstützt und begleitet. Dieser setzt sich zusammen aus Vertretungen der LSBTIQA+-Community, Fachinstitutionen für zentrale queere Themenfelder, z. B. Bildung, Beratung, Recht sowie Organisationen, die den Schwerpunkt LSBTIQA+ und Religion vertreten, und wissenschaftlichen Expert*innen.3, 4 

Eine zentrale Herausforderung für das Forschungsdesign war die Feststellung, dass es in Deutschland weder gesamtöffentlich noch innerhalb der LSBTIQA+-Community eine systematische Auseinandersetzung mit Konversionsbehandlungen gibt. Dadurch werden die entsprechenden Praktiken und Ereignisse (auch durch die ausgesprochen geringe öffentliche Berichterstattung) auf Phänomene wie Exorzismen und Dämonenaustreibungen in bestimmten religiösen Kontexten verengt. In der Konsequenz führt das dazu, dass viele queerfeindliche Handlungen, die als Konversionsmaßnahmen zu verstehen sind, nicht als solche erkannt und benannt werden. Der so entstehende Graubereich, der sich auch in der Wahl des Konzepts »Queerfeindlichkeit« im Rahmen der Befragung spiegelt, muss dementsprechend aus zwei Gründen erhellt werden. Zum einen ist es für Betroffene/Überlebende erst dann möglich, sich spezialisierte Hilfe zu suchen, wenn sie (und auch die Hilfsangebote) benennen können, was sie erleben bzw. erlebt haben. Zum anderen leistet die Existenz eines solchen Graubereichs auch der Verfestigung und Ausweitung eines Dunkelfelds Vorschub.

Die forschungsstrategische Umsetzung dieses Zusammenhangs bestand darin, die Befragung nicht primär an den Begriff Konversionsbehandlungen zu koppeln, sondern einen weiten Zugang zu wählen, um möglichst viele Teilnehmer*innen zu gewinnen. Um dem gerecht zu werden, wurde das Befragungsinstrument in Form eines Trichters konzipiert, der von allgemeinen Erfahrungen mit Queerfeindlichkeit in der eigenen Biografie hin zu (möglichen) Erfahrungen mit Konversionsmaßnahmen führt. Damit wurde auch der Tatsache Rechnung getragen, dass es Menschen gibt, die Konversionsmaßnahmen erleben oder erlebt haben, ohne diese als solche benennen zu können. Eine zweite notwendige Differenzierung besteht darin, die Bereiche »Sexuelle Orientierung« und »Geschlechtsidentität« in der Befragung zu trennen, da sich das Phänomen Konversionsbehandlung für diese beiden Kontexte an vielen Stellen fundamental unterscheidet. 

Erste Ergebnisse und Fazit

An der Befragung »Unheilbar queer« nahmen über 3.500 Personen zwischen 18 und 70 Jahren teil, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*, queer, nicht-binär*, aromantisch, asexuell oder als Teil der Community verstehen. Als eines der ersten Ergebnisse kann festgehalten werden, dass die queerfeindliche Vorstellung der Änderbarkeit von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten nach wie vor weit verbreitet ist. Sie kommt in vielen unterschiedlichen Lebensbereichen – z. B. im Elternhaus, in der Schule oder in medizinischen Kontexten – vor. Queere Menschen werden damit vor allem in der vulnerablen Phase des Coming-outs konfrontiert.5

Die hohe Beteiligungsrate an der Befragung und die ersten Daten weisen darauf hin, dass im Themenfeld ein hoher Bedarf an weiterer Forschung und daraus abzuleitenden Bildungsangeboten für verschiedene Fachkontexte besteht.

Fußnoten

1 Diese kann hier eingesehen werden: https://mh-stiftung.de/wp-content/uploads/Abschlussbericht_BMH_neu.pdf. Alle Links sind am 16.07.23 auf ihre Aktualität überprüft worden.

2 Unter der Abkürzung LSBTIQA+ werden Menschen verstanden, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*, queer, nicht-binär*, aromantisch, asexuell oder als Teil der Community verstehen.

3 Eine Übersicht über alle im Fachbeirat vertretenen Institutionen und Personen findet sich unter https://www.befragung-unheilbar-queer.de/beirat/.

4 Auf Wunsch der Autoren wird in diesem Beitrag der Gender-Stern verwendet.

5 Weitere erste Ergebnisse können unter https://www.liebesleben.de/fachkraefte/studien-standard-qualitaetssicherung/queer-in-deutschland-wissen-und-erfahrungen-zu-konversionsbehandlungen/ abgerufen werden.

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Veröffentlichungsdatum

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Dr. Klemens Ketelhut ist Projektleiter und senior researcher im Projekt „Konversionsbehandlungen: Kontexte. Praktiken. Biografien.“

Kontakt:
ketelhut(at)mosaik-deutschland.de 

Danijel Cublic ist Leiter des Amts für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg.

Kontakt:
danijel.cubelic(at)heidelberg.de 

 

Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

 

Herausgebende Institution

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FORUM 1–2023

Forschung

Diese Ausgabe des FORUM stellt 13 aktuelle Forschungsprojekte und 7 Projektskizzen im Themenfeld sexuelle und reproduktive Gesundheit und sexuelle Rechte vor. Alle 20 Beiträge können unter "Artikel der Publikation" einzeln abgerufen und heruntergeladen werden.

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