Wo suchen und finden ungewollt Schwangere Rat?
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Bei ungewollt eingetretenen Schwangerschaften stellt sich die Herausforderung einer umfassenden sowie einfach und schnell zugänglichen Information in besonderer Weise. Frauen, die einen Abbruch der Schwangerschaft in Erwägung ziehen oder beabsichtigen, sind – nicht nur – wegen der gesetzlichen Regelungen auf zeitnah verfügbare Informationen angewiesen, um eine informierte Entscheidung und erforderliche organisatorische Vorbereitungen treffen zu können. Frauen, die sich zum Austragen einer ungewollt eingetretenen Schwangerschaft entschließen – auf die sich der Fokus dieses Artikels richtet –, stehen gleichermaßen vor drängenden Herausforderungen bei der Informationssuche. Anders als bei beabsichtigten Schwangerschaften müssen bei diesen ungewollten Schwangerschaften innerhalb kurzer Zeit medizinische, rechtliche und finanzielle Informationen sowohl für die Phase der Schwangerschaft als auch für die folgende (Klein-)Kindphase beschafft werden. Eine umfassende Informiertheit während einer Schwangerschaft zeigt nachweislich positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind (Coglianese et al., 2020; Shieh, Broome & Stump, 2010; Song, Cramer, McRoy & May, 2013). Die Wichtigkeit des Zugangs zu Informationen für werdende Mütter wurde auch 2017 im Nationalen Gesundheitsziel »Gesundheit rund um die Geburt« vom Kooperationsverbund gesundheitsziele.de betont (Bundesministerium für Gesundheit, 2017). Die Daten der »ELSA«-Studie ermöglichen einen genaueren Blick, wie die Informationssuche bei den Betroffenen erfolgt.
Die Befragung von Frauen in der »ELSA«-Studie
Die Datengrundlage dieses Beitrags bildet eine repräsentative Befragung von Frauen, die im Rahmen der Studie »Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA)« durchgeführt wurde. Ziel der Studie war es, Erkenntnisse über die sozialen und gesundheitlichen Belastungen und Ressourcen von Frauen, die ungewollt schwanger sind und diese Schwangerschaft austragen oder abbrechen, zu gewinnen. Zudem sollte ergründet werden, wie die Unterstützung und Versorgung, die sie erfahren, die Verarbeitungsprozesse befördern oder erschweren. Die multimethodisch angelegte Studie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert und von einem multidisziplinären Forschungsverbund von sechs Hochschulen und Universitäten unter Leitung der Hochschule Fulda von 2020 bis 2024 durchgeführt. Der Abschlussbericht der »ELSA«-Studie ist online verfügbar (Hahn et al., 2024).
Eine der vielfältigen empirischen Methoden der »ELSA«-Studie bildete eine für Deutschland repräsentative Befragung von Müttern mit Kind im Alter unter sechs Jahren. Anhand einer Zufallsauswahl von Adressen der Einwohnermeldeämter wurde zur Teilnahme an einer Online-Befragung eingeladen, an der sich über 4.400 Mütter, darunter 572 Frauen mit ungewollt eingetretenen Schwangerschaften, beteiligten. Frauen mit Schwangerschaftsabbrüchen wurden zusätzlich noch über weitere Kontaktwege, insbesondere über Gynäkologiepraxen, gewonnen. Die Befragung wurde von Dezember 2021 bis September 2022 durchgeführt.
Informationsbedarfe ungewollt Schwangerer
In der »ELSA« Befragung richtete sich der Fokus bei den Fragen zur Informationssuche auf die Zeit unmittelbar nach dem Bemerken einer Schwangerschaft. Die Informationsbedarfe der befragten Frauen mit ungewollt eingetretener ausgetragener Schwangerschaft betrafen am häufigsten den Themenbereich Schwangerschaft und Geburt (59 %, siehe Abbildung 1). Von knapp der Hälfte (49 %) der ungewollt Schwangeren wurden an zweiter Stelle gesundheitsbezogene Informationen, etwa zum Ablauf von Schwangerschaft und Geburt, zur Ernährung oder auch zu Risiken und Komplikationen gesucht. Erfahrungsberichte von anderen Schwangeren wurden von knapp jeder vierten ungewollt Schwangeren gesucht.
Im Vergleich zu gewollten Schwangerschaften zeigen sich bei ungewollt eingetretenen Schwangerschaften deutliche Unterschiede bei der Informationssuche. Informationen zu Schwangerschaft und Geburt und gesundheitsbezogene Informationen wurden von gewollt schwanger gewordenen Frauen deutlich häufiger gesucht als von Frauen mit ungewollt eingetretener Schwangerschaft (77 % gegenüber 49 %, siehe Abbildung 1). Informationen zu Schwangerschaft und Geburt suchten insgesamt 81 Prozent der Frauen mit gewollten Schwangerschaften, bei Befragten mit ungewollt eingetretener Schwangerschaft waren es 58 Prozent. Erfahrungsberichte anderer Schwangerer wurden ebenfalls häufiger von Frauen mit gewollt eingetretenen Schwangerschaften als von Frauen mit ungewollt eingetretenen Schwangerschaften gesucht. Eine mögliche Erklärung ist, dass die aufgeführten Unterschiede mit der fehlenden Vorbereitungszeit bei ungewollt eingetretenen Schwangerschaften in Zusammenhang stehen, wobei in der »ELSA«-Befragung hierzu keine Daten erhoben wurden.
Frauen mit ungewollten Schwangerschaften suchten dagegen häufiger als gewollt Schwangere Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten durch Schwangerschaftsberatungsstellen (20 % gegenüber 7 %), zur finanziellen und sozialen Unterstützung (14 % gegenüber 7 %) oder auch zu familienrechtlichen Fragen wie Sorge- und Umgangsrecht oder Vaterschaftsanerkennung (12 % gegenüber 3 %). Einzuordnen sind diese Unterschiede der Interessen bei der Informationssuche vor dem Hintergrund, dass sich ungewollt schwangere Frauen erheblich häufiger als Frauen mit gewollten Schwangerschaften in ungünstigen Lebenslagen für eine Familiengründung oder -erweiterung befinden. Die Lebenssituationen ungewollt Schwangerer sind häufiger etwa durch berufliche und finanzielle Unsicherheit oder krisenhafte Partnerschaften geprägt, wie die »ELSA«-Ergebnisse in Übereinstimmung mit der Studie »frauen leben 3« zeigen (Knittel & Olejniczak, 2023).
Die Entscheidung, eine ungewollt eingetretene Schwangerschaft auszutragen, wird zumeist zu einem frühen Zeitpunkt getroffen. Für eine Mehrheit (59 %) der befragten Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen haben, stand es von Beginn an fest, dass sie die Schwangerschaft nicht abbrechen (ohne Abbildung). 39 Prozent der Befragten, die eine ungewollt eingetretene Schwangerschaft ausgetragen haben, hatten einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht gezogen, die übrigen 2 Prozent konnten oder wollten hierzu keine Angaben machen. Auch von den Frauen, die einen Abbruch in Erwägung gezogen hatten, suchte weniger als ein Drittel eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatung auf. Unterstützung bei der Entscheidung zu bekommen, die Schwangerschaft abzubrechen oder auszutragen, ist damit für eine große Mehrheit kein Anliegen.
Unterschiedliche Eignung einzelner Informationsquellen
Spezifische Informationsquellen werden von ungewollt und gewollt schwanger gewordenen Frauen in unterschiedlichem Maße als hilfreich beurteilt. Allgemeine Internet-Quellen werden von ungewollt Schwangeren (mit 49 %) im Vergleich zu gewollt Schwangeren (mit 70 %) seltener als hilfreich bewertet (siehe Abbildung 2). Ein denkbarer Grund ist, dass diese Informationsangebote zu wenig spezifisch auf die Situation ungewollt Schwangerer eingehen. Auch Freundinnen und Freunde werden von Frauen mit ungewollt eingetretener Schwangerschaft seltener als geeigneter Personenkreis für Information und Austausch angesehen (31 % gegenüber 49 %). Zu vermuten ist, dass hier zum einen die Stigmatisierung ungewollt eingetretener Schwangerschaften als Barriere Wirkung zeigt (Schneider et al, 2023), zum anderen Erfahrungen mit ungewollten Schwangerschaften weniger verbreitet sind, sodass im privaten Umfeld seltener einschlägiger und hilfreicher Rat verfügbar ist.
Beratungsstellen kommt eine besondere Bedeutung zu bei der Information von Frauen, die eine ungewollt eingetretene Schwangerschaft austragen. Knapp jede dritte Befragte (32 %) mit ungewollt eingetretener Schwangerschaft bezeichnete die Beratungsstellen als hilfreiche Informationsquelle (gegenüber 7 % bei Befragten mit gewollten Schwangerschaften).
Im Rahmen der Befragung wurde nicht im Einzelnen erhoben, auf welche Art der Beratungsstellen sich die Bewertung bezogen hat. Die von den Befragten genannten Informationsthemen lassen jedoch den Schluss zu, dass in erster Linie Angebote von Schwangerschaftsberatungsstellen genutzt wurden. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass in die Bewertung der Beratungsstellen in geringem Umfang auch Besuche weiterer Beratungsangebote wie etwa eine Sozialberatung eingeflossen sind.
Bewertung der Eignung abhängig vom Bildungsstand
Das Angebot der Beratungsstellen wird von ungewollt Schwangeren mit hohem und niedrigem Bildungsstand in unterschiedlichem Maße als hilfreich bewertet. Befragte mit niedrigem Bildungsstand – berücksichtigt wurden hier schulische und berufliche Bildungsabschlüsse – gaben seltener als die anderen Bildungsgruppen an, hilfreiche Informationen aus Internet-Quellen erhalten zu haben. Lediglich 38 Prozent der Befragten mit niedrigem Bildungsstatus gaben an, im Zusammenhang mit ihrer ungewollt eingetretenen ausgetragenen Schwangerschaft hilfreiche Informationen im Internet gefunden zu haben – bei den Befragten mit hohem Bildungsstatus lag dieser Anteil mit 62 Prozent erheblich höher. Umgekehrt wurden die Beratungsstellen von Befragten mit niedrigem Bildungsstatus mit einem Anteil von 45 Prozent erheblich häufiger als hilfreich erlebt als von Befragten mit mittlerem, höherem oder hohem Bildungsstatus (siehe Abbildung 3).
Auch von Befragten, die bei Eintritt der ungewollten Schwangerschaft jünger als 25 Jahre waren, wurden Beratungsstellen mit einem Anteil von 48 prozent überdurchschnittlich häufig als hilfreich erlebt. Ebenso erfuhren Befragte, die aufgrund geringen Einkommens staatliche Sozialleistungen bezogen haben oder mit einem (weiteren) Kind eine finanzielle Notlage befürchteten, überdurchschnittlich häufig Beratungsstellen als hilfreiche Informationsquelle (ohne Abbildung).
Die Ergebnisse der »ELSA«-Befragung verweisen damit auf eine hohe Relevanz der Beratungsstellen zur Deckung spezifisch mit einer ungewollten Schwangerschaft verbundenen Informationsbedarfen und bei der wirksamen Vermittlung hilfreicher Informationen an Personengruppen mit weniger umfassenden Ressourcen.
Zitation
Olejniczak, L., Hahn, D., Knittel, T., Schneider, M., & Torenz, R. (2025). Wo suchen und finden ungewollt Schwangere Rat? FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), 2, 22–27.
Download Zitation (RIS)Veröffentlichungsdatum
Laura Olejniczak, Soziologin M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen Freiburg (SoFFI F.) im Forschungs- und Innovationsverbund an der Evangelischen Hochschule Freiburg und forscht u. a. zur Stigmatisierung von Frauen mit Schwangerschaftsabbrüchen.
Kontakt: laura.olejniczak(at)eh-freiburg.de
Daphne Hahn, Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung am Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Hochschule Fulda, Leiterin des Promotionszentrums Public Health. Forschungsschwerpunkte: sexuelle und reproduktive Gesundheit (national, international), Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Geburt, Familienplanung, Prävention/Gesundheitsförderung, Gewalt und Gesundheitsversorgung.
Kontakt: daphne.hahn(at)gw.hs-fulda.de
Tilmann Knittel, Soziologe M.A., ist Geschäftsführer des Cornelia Helfferich Instituts für Geschlechter- und Familienforschung in Freiburg und befasst sich dort mit Einflüssen auf die Familienplanung.Kontakt: knittel@cornelia-helfferich-institut.de
Maria Schneider, Hebamme B.Sc., Sexualpädagogin und Gesundheitswissenschaftlerin M.Sc., arbeitet angestellt am FPZ Balance Berlin sowie freiberuflich im Gesundheits- und Bildungsbereich.
Kontakt: maria.schndr(at)gmx.de
Rona Torenz, Geschlechter- und Sexualwissenschaftlerin, M.A., ist wissenschaftliche Referentin bei S.I.G.N.A.L. e. V. und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der »ELSA«-Studie. Sie forscht zu regionalen Unterschieden im Zugang zu Schwangerschaftsabbruch in Deutschland.
Kontakt: rona.torenz(at)gw.hs-fulda.de
Alle Links beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Artikel der Gesamtausgabe
- Aktuelle Entwicklung bei Schwangerschaftsabbrüchen und Geburten
- Ungewollte Schwangerschaften bei Frauen mit psychischen Erkrankungen: Lebenslagen, Erfahrungen und Unterstützungsbedarfe
- Die Arbeit der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
- Wo suchen und finden ungewollt Schwangere Rat?
- Das bundesweite Hilfetelefon »Schwangere in Not« – ein niedrigschwelliges Angebot für schwangere Personen in Krisenzeiten
- Blended Counseling als Zukunftsmodell der Schwangerschaftsberatung – Erkenntnisse aus dem Projekt »Blende(n)d beraten!«
- Spaltet der Schwangerschaftsabbruch die Gesellschaft? Differenzierte Einstellungen und kontextuelle Einflussfaktoren. Eine quantitative Vignettenstudie
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