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FORUM 2–2025

Was werden kann: Lebensplanung, Berufsorientierung und ihre Bedeutung für reproduktive Entscheidungen

Jana Pokraka , Lena Hoffmann , Lisa Kuhlmeier , Informationen zu den Autorinnen/Autoren
Mit dem Projekt »komm auf Tour – meine Stärken, meine Zukunft« schafft »Sinus – Büro für Kommunikation« Erfahrungsräume, in denen Jugendliche ihre Stärken entdecken, sich orientieren und ihre Zukunft aktiv mitdenken können. Der Beitrag zeigt, wie die pädagogisch-didaktischen Prinzipien des Projekts zur Stärkung von Selbstwirksamkeit, Reflexion und Vernetzung beitragen. Damit wird auch die Entscheidungskompetenz im Kontext von Lebensplanung, reproduktiver Gesundheit und somit die Prävention von Schwangerschaftskonflikten potenziell gefördert.

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Lebensplanung zwischen Berufsorientierung und reproduktiver Selbstbestimmung

Lebensplanung ist ein vielschichtiger Prozess, der weit über die Entscheidung für einen Beruf hinausgeht. Sie umfasst biografische Suchbewegungen, in denen junge Menschen ihre Stärken, Wünsche und Selbstbilder ebenso reflektieren wie gesellschaftliche Erwartungen und strukturelle Begrenzungen. Ein Projekt zur Lebensplanung und Berufsorientierung kann dabei ein wichtiger Impuls sein – insbesondere, wenn es lebensweltlich ansetzt, subjektorientiert arbeitet und Raum für individuelle Entwicklung lässt.

»komm auf Tour – meine Stärken, meine Zukunft« ist eine Projektentwicklung des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit. Die Umsetzung erfolgt bundesweit im Auftrag von Ländern und Kommunen durch Sinus – Büro für Kommunikation GmbH, das die alleinigen Nutzungsrechte am Programm hält und als Projektträgerin verantwortlich zeichnet.

»komm auf Tour« greift den oben erwähnten erweiterten Bildungsanspruch auf. Das Projekt versteht Lebensplanung als umfassenden Rahmen von Berufsorientierung und basiert in seinem konzeptionellen Ursprung auf der nachgewiesenen Korrelation zwischen mangelnden beruflichen Perspektiven und Teenagerschwangerschaften (BZgA, 2004). Vor diesem Hintergrund unterstützt das Projekt Jugendliche darin, diese Perspektiven zu entwickeln, ihre Kompetenzen und Interessen zu entdecken, auszubauen und mit eigenen Zielen zu verbinden. In einem geschützten, handlungsorientierten Rahmen können sie Selbstwirksamkeit erleben, Zukunftsbilder entwickeln und konkrete nächste Schritte erproben.

Diese Orientierung an der Lebensrealität und der breite Zugang zur Lebensplanung ist somit anschlussfähig an Fragen sexueller und reproduktiver Gesundheit. Wer sich selbstbestimmt mit Lebensentwürfen und Beziehungen auseinandersetzt, entwickelt Kompetenzen, um auch mit Intimität, Familienplanung oder einem möglichen Schwangerschaftskonflikt reflektiert umzugehen. Der Beitrag fragt daher, welche pädagogisch-didaktischen Prinzipien »komm auf Tour« prägen und wie diese zur Stärkung junger Menschen im Sinne umfassender Lebens- und Reproduktionsplanung beitragen können.

»komm auf Tour« als Bildungsangebot für Lebensplanung

Damit junge Menschen tragfähige Zukunftsaussichten entwickeln können, brauchen sie Gelegenheiten, zentrale Lebenskompetenzen zu stärken – darunter Empathie, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, Kommunikations- und Beziehungskompetenz. Begrenzte Bildungschancen wirken sich nachweislich auf Lebensplanung und Gesundheitsverhalten aus: Wer wenig Orientierung und Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten erlebt, hat es schwerer, gleichberechtigte Beziehungen zu gestalten, Ausbildungswege zu finden – und ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Verhütung allein genügt nicht: Prävention beginnt mit Selbstwert, Perspektive und dem Gefühl, das eigene Leben gestalten zu können. In einem eigens konzipierten Erlebnisparcours durchlaufen die Teilnehmenden bei »komm auf Tour« Stationen, an denen sie sich selbst ausprobieren, Rückmeldungen erhalten und erste Ideen für mögliche Lebenswege, -entscheidungen oder Berufsfelder entwickeln können.

Das Programm richtet sich an Schüler*innen der 7. und 8. Jahrgangsstufen – also an Jugendliche in einer Phase, in der Fragen nach Identität und Zukunft stärker in den Fokus rücken, ohne dass bereits Entscheidungen unmittelbar anstehen (müssen). »komm auf Tour« setzt hier nicht auf Wissensvermittlung, sondern auf Erfahrungsräume, die Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit und soziale Interaktion fördern. Das Projekt folgt einer subjektorientierten Pädagogik, die junge Menschen als aktiv Gestaltende ihrer Biografie ernst nimmt.

Ein zentrales Merkmal des Projekts ist die Einbindung kommunaler Netzwerke: Beratungsstellen aus dem Bereich der Lebensplanung (z. B. pro familia, Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Sozialberatung), Lehrkräfte und Schulsozialarbeit, Erziehungsberechtigte, Betriebe und Berufsberatungen werden sichtbar und aktiv eingebunden. So entsteht ein lokales Unterstützungsgefüge, das über das Projekt hinaus Orientierung und Hilfe zugänglich macht.

Diese Verankerung im Sozialraum, die methodische Handlungsorientierung und die konsequente Ausrichtung auf Stärken und Diversität machen »komm auf Tour« zu einem Bildungsangebot, das Berufsorientierung als einen Teil ganzheitlicher Lebensplanung versteht. Im Folgenden werden zentrale pädagogisch-didaktische Dimensionen des Programms dargestellt und im Hinblick auf ihr präventives Potenzial reflektiert.

Persönliche Ressourcen fördern

Ein zentrales Merkmal der pädagogischen Arbeit von »komm auf Tour« ist die gezielte Förderung individueller Ressourcen, ein Ansatz, der sich eng an der Positiven Psychologie orientiert. Diese fragt nicht primär nach Defiziten, sondern nach Bedingungen gelingenden Lebens: Was befähigt Menschen, Herausforderungen zu bewältigen, Beziehungen zu gestalten und Zukunftsaussichten zu entwickeln? (Peterson & Seligman, 2004.)

Im Bildungskontext wurde dieser Ansatz als Positive Pädagogik weiterentwickelt. Sie zielt weniger auf Leistung als auf die Förderung von Selbstwert, positiven Emotionen und tragfähigen Selbstbildern (Burow, Fritz-Schubert & Luga, 2017). Studien zeigen, dass Interventionen, die Charakterstärken und positive Rückmeldung in den Mittelpunkt stellen, insbesondere bei Jugendlichen Resilienz und Wohlbefinden stärken können (Pilger, 2022; Mangelsdorf, 2020).

Bei »komm auf Tour« geschieht dies u. a. durch eine stärkenorientierte Feedback-Kultur. Jugendliche erleben Situationen, in denen ihre Interessen und Fähigkeiten sichtbar werden – und erhalten darauf bezogene Rückmeldungen in Form von Stärken-Stickern und Gesprächsimpulsen. Die Förderung positiver Selbstwahrnehmung erfolgt erfahrungsbasiert und begünstigt nachweislich Motivation und Selbstwirksamkeit (Eisenbart, Schelbert & Stokar-Bischofberger, 2020).Gerade mit Blick auf sensible Lebensentscheidungen, etwa zu Sexualität oder Familienplanung, kann das Wissen um eigene Stärken und Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit entscheidend sein (siehe hierzu exemplarisch Abbildung 1). Wer erlebt, dass die eigene Einschätzung zählt, ist besser vorbereitet, auch in komplexen Situationen bewusst zu handeln.

Stärkenorientierung und Selbstwirksamkeit

Stärkenorientierte Bildungsansätze machen Potenziale sichtbar und erfahrbar. Ziel ist eine Haltung, die sich auf Entwicklungsspielräume, Gestaltungsfähigkeit und Zukunftsaussichten fokussiert.Theoretisch lässt sich dieser Ansatz mit der Selbstkonzeptforschung (Mummendey, 2006) und Banduras Konzept der Selbstwirksamkeit (1997) verknüpfen. Letzteres beschreibt die Überzeugung, durch eigenes Handeln das eigene Leben beeinflussen zu können. Studien zeigen, dass hohe Selbstwirksamkeitserwartungen mit größerem Vertrauen in eigene Entscheidungen, aktiverem Umgang mit Herausforderungen und höherer Resilienz einhergehen (Fuchs, 2005; Schwarzer & Jerusalem, 2002).

»komm auf Tour« stärkt das Selbstkonzept gezielt im Parcours: Die sogenannten Stärken-Sticker dienen nicht nur der Rückmeldung, sondern auch der sozialen Anerkennung. Wer etwa als »kommunikativ« oder »praktisch« erlebt wird, erhält konstruktives, prozessorientiertes Feedback – im Sinne einer Bestärkung, nicht Bewertung. Dieses Prinzip wird auch in der wachstumsorientierten Motivationspsychologie hervorgehoben (Dweck, 2007).

In einer internen Evaluation berichteten 60 % der Teilnehmenden, nach dem Parcours mehr über sich, ihre Stärken und mögliche Lebensentwürfe zu wissen, ein Hinweis auf die wirksame Aktivierung von Selbstreflexion und Zukunftsbildern (s. hierzu auch Eisenbart et al., 2020).

Kompetenzorientierung und Lebensplanung

Kompetenzorientierte Bildungsansätze verstehen Lernen nicht primär als Wissenserwerb, sondern als Entwicklung von Fähigkeiten, um mit komplexen, oft unvorhersehbaren Situationen im Alltag umgehen zu können. Bildung zielt hier nicht auf standardisierte Ergebnisse, sondern auf die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit in der eigenen Lebenswelt (Klieme et al., 2003).

»komm auf Tour« greift diesen Ansatz auf, indem es Kompetenzen nicht isoliert vermittelt, sondern in lebensnahen, biografisch anschlussfähigen Situationen aktiviert. Die Jugendlichen begegnen im Parcours Aufgaben, die unterschiedliche Persönlichkeitsdimensionen ansprechen – etwa sprachliche, soziale, praktische oder kreative. Rückmeldungen über die sogenannten Stärken-Sticker orientieren sich an einem erweiterten Kompetenzbegriff, der auch Motivation, Ausdrucksfähigkeit oder Problemlösungsverhalten umfasst. 

Die Kombination aus situativer Erfahrung, individueller Rückmeldung und Dokumentation schafft einen Lernprozess, der über den Moment hinauswirkt. Instrumente wie der Stärken-Steckbrief, der Stärken-Entdecker oder der Stärken-Wegweiser (siehe Abbildung 2) verbinden die Erfahrungen mit konkreten Berufsfeldern. Diese Art der Dokumentation kann schließlich zur Entwicklung eines dynamischen Selbstbildes beitragen (Eisenbart et al., 2020; Winter, 2018).

Handlungsorientierung und Lebensweltbezug

Bildung wirkt besonders dann, wenn sie an reale Lebenszusammenhänge anknüpft und Jugendliche befähigt, Wissen und Fähigkeiten im Alltag anzuwenden. Das Konzept der Handlungsorientierung verbindet kognitive, emotionale und körperliche Erfahrungsdimensionen und schafft so motivierende, nachhaltige Lerngelegenheiten (Möller, 2007).

»komm auf Tour« nutzt dieses Potenzial, indem es keine vorgefertigten Lebensentwürfe oder abstrakten Berufsbilder vermittelt, sondern die Jugendlichen in einen Parcours einlädt, der alltagsnahe, interaktive und motorisch geprägte Situationen inszeniert. Sie übernehmen Aufgaben, die handwerkliche, kommunikative oder soziale Fähigkeiten ansprechen. Entscheidend ist, dass sie selbst bestimmen, wie aktiv sie sich einbringen – ein Moment der Selbstbestimmung, das Identitätsentwicklung und Aneignung von Lebenswelt unterstützt (Jaeggi, 2016).

Auch die produktorientierte Gestaltung trägt zum Lebensweltbezug bei: Materialien wie der Stärken-Steckbrief oder der Stärken-Wegweiser begleiten die Jugendlichen über den Parcours hinaus und werden im Unterricht weitergeführt.

Die Entscheidung für bewegungsnahe, erfahrungsbasierte Formate wird durch berufspädagogische Forschung gestützt: Handlungsorientierter Unterricht zeigt, besonders bei prozeduralem Wissen, stärkere Effekte als instruktionale Methoden (Bünning & Jenewein, 2008). 

Im Kontext sexueller und reproduktiver Gesundheit wird Bildung hier konkret, anschlussfähig und erfahrungsbasiert. Wer erlebt, dass Lernen Handeln heißt, erfährt Handlungsmöglichkeiten und Reflexionsanlässe für unterschiedliche Handlungsalternativen und ihre Konsequenzen.

Netzwerke aktivieren 

Ein zentraler Baustein von »komm auf Tour« ist die gezielte Einbindung von Netzwerken vor Ort, sowohl von kommunalen Kooperationen als auch von individuellen Bezugspersonen. Bildungsprozesse, gerade in Übergangsphasen wie der frühen Lebensplanung und Berufsorientierung, entfalten ihre Wirkung vor allem dann, wenn schulische, außerschulische und familiäre Akteur*innen1 gemeinsam unterstützend wirken.

Solche multiprofessionellen Netzwerke sind nicht nur organisatorisch wertvoll, sondern auch entwicklungspsychologisch bedeutsam: Jugendliche erleben, dass sie Teil eines sozialen Gefüges mit erreichbaren Ansprechpersonen sind, und das sowohl für Bildungs- wie auch für persönliche Anliegen (Egger, 2015). Die Sichtbarmachung dieser Strukturen fördert Zugehörigkeit und wirkt sich positiv auf Gesundheitsverhalten und psychosoziale Stabilität aus (Jourdan et al., 2008).

»komm auf Tour« setzt dieses Prinzip konsequent um: Bereits im Parcours begegnen Jugendliche Fachkräften aus Beratungsstellen der Lebensplanung und Role Models in lebensnahen Situationen. Durch den Abbau von Hürden im Kontaktaufbau können Fragen niedrigschwellig gestellt und erste Kontakte unkompliziert geknüpft werden. Gleichzeitig wird auch auf Erwachsenenseite Vernetzung angeregt, z. B. zwischen Lehrkräften und regionalen Kooperationspartner*innen, und Erziehungs- und Sorgeberechtigte werden in einem Elternabend in das Projekt einbezogen.

Gerade in präventiven Gesundheitsfragen, z. B. zu Sexualität oder unerwarteten Lebensereignissen, sind solche Kommunikationsräume und ein Wissen über Hilfestrukturen zentral. Wer weiß, an wen man sich wenden kann, hat Unterstützung bei verantwortungsvollen Entscheidungen. »komm auf Tour« trägt so zur Entwicklung eines realistischen Unterstützungsbewusstseins bei: Jugendliche erfahren, dass Hilfe zugänglich ist – und dass es legitim ist, sie zu nutzen.

Klischeefreiheit und Diversität 

Die Gestaltung von persönlicher Zukunft ist immer auch mit Vorstellungen von Normalität, Geschlecht, Herkunft und Zugehörigkeit verbunden. Lebensplanung, und mit ihr Berufsorientierung, ist daher nicht nur ein ökonomisches Instrument, sondern ein Raum, in dem Rollenerwartungen und soziale Platzierungen mitverhandelt werden. Ein subjektorientierter Ansatz muss sich diesen Zuschreibungen stellen und Räume eröffnen, in denen alternative Lebensentwürfe sichtbar und lebbar sind.

»komm auf Tour« verfolgt diesen Anspruch konsequent: Jugendliche begegnen vielfältigen Rollenvorbildern und erleben, dass Interessen und Stärken nicht entlang binärer oder kultureller Stereotype bewertet werden und sich Lebensplanung jenseits von (eigenen und fremden) Zuschreibungen entfalten kann. Sowohl die Gestaltung der Stationen als auch die Auswahl der Mitwirkenden zielen darauf, Diversität nicht nur zu tolerieren, sondern als Normalität erfahrbar zu machen.

Die Notwendigkeit, Diversität intersektional zu denken, ist anerkannt, wird in der Praxis jedoch nach wie vor selten eingelöst. Gerade an der Schnittstelle von geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung und/oder sozialer Herkunft ergeben sich spezifische Herausforderungen: Fehlen sichtbare Rollenvorbilder oder Beratungspersonen mit ähnlichen Erfahrungshintergründen, erschwert dies Identifikation und Vertrauen. Zugleich bergen Berufsorientierungs- oder Beratungssituationen das Risiko unfreiwilliger Offenlegung nicht-normativer Lebensweisen – etwa durch stereotype Zuschreibungen oder normierende Rückmeldungen. Für viele Jugendliche bedeutet das: Sie müssen sich entweder anpassen oder exponieren, beides behindert reflektierte Entscheidungsprozesse (vgl. Offen, 2019; Rusert, Kart & Stein, 2022). »komm auf Tour« schafft hier Räume, in denen Jugendliche eigene Vorstellungen jenseits normativer Lebensentwürfe entwickeln – und ernst genommen werden.

Gerade im Kontext von Schwangerschaftskonflikten zeigt sich: Reflektierte Entscheidungen gelingen eher, wenn junge Menschen sich sicher fühlen, ihre Bedürfnisse ausdrücken können und Optionen kennen (Neumann & Renner, 2016). Diversitätssensible Berufsorientierung kann so zum Schutzfaktor werden – nicht durch Belehrung, sondern durch Ermöglichung von Autonomie.

Bildung für Lebensplanung und reproduktive Entscheidungsfähigkeit

Entscheidungsfähigkeit

Eine zentrale Stärke von »komm auf Tour« liegt in der konsequenten Ausrichtung auf die Lebensrealitäten Jugendlicher. Das Programm versteht Berufsorientierung als Auseinandersetzung mit Werten, Beziehungen, Identität und Zukunft und schafft damit einen Bildungsraum, der über berufliche Fragen hinausweist. Gerade in diesem erweiterten Verständnis liegt ein präventives Potenzial, auch im Hinblick auf Schwangerschaftskonflikte. Solche Entscheidungen sind selten rein medizinisch oder rechtlich motiviert, sondern eingebettet in biografische Kontexte: Wer bin ich? Wo stehe ich? Welche Ressourcen habe ich, wer unterstützt mich?

Die in »komm auf Tour« verankerten Prinzipien, von Selbstwirksamkeit über Stärkenorientierung, Netzwerkarbeit, Diversitätssensibilität bis hin zur Handlungsorientierung, adressieren Schutzfaktoren, die in der Präventionsforschung als bedeutsam gelten. Studien zeigen, dass ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Jugendliche Unterstützungsangebote rund um Schwangerschaft und Geburt wahrnehmen (Neumann & Renner, 2016).

»komm auf Tour« wirkt damit nicht sexualpädagogisch im engeren Sinn, aber präventiv im weiteren: Das Projekt stärkt Urteilskraft, macht das Wahrnehmen von Hilfsangeboten zugänglich und eröffnet Reflexionsräume für Lebensgestaltung, auch zu Körper, Sexualität und Familie. Bildung im Kontext von Berufsorientierung und Lebensplanung wird so zum Querschnittsthema über Lebensbereiche hinweg, und genau hier liegt die Anschlussfähigkeit an Fragen sexueller und reproduktiver Gesundheit.

Fazit: Berufsorientierung und Lebensplanung als Beitrag zur reproduktiven Autonomie

»komm auf Tour« zeigt, wie Berufsorientierung mehr sein kann als Vorbereitung auf Erwerbsarbeit und wie Lebensplanung unterschiedliche Lebensentwürfe eröffnen kann. Die pädagogisch-didaktischen Prinzipien des Programms eröffnen Jugendlichen Erfahrungsräume, in denen sie sich als handlungsfähig, wahrgenommen und unterstützt erleben können. Diese Ressourcen wirken weit über die berufliche Sphäre hinaus: Sie fördern die Fähigkeit, Entscheidungen zu reflektieren, sich Hilfe zu holen und eigene Lebenswege selbstbestimmt zu gestalten. Damit leistet »komm auf Tour« auch einen Beitrag zur Prävention von Schwangerschaftskonflikten – über Inhalte und über Haltung.

Weitere Informationen zum Projekt und viele visuelle Eindrücke finden Sie auf der Projekthomepage: https://komm-auf-tour.de/

Fußnote

1 Auf Wunsch der Autorinnen wird der Gender-Stern verwendet.

Literatur

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. W. H. Freeman.

Burow, O.-A., Fritz-Schubert, E., & Luga, J. (2017). Einladung zur positiven Pädagogik (1. Aufl.). Beltz.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2004). Jugendliche Schwangere und Mütter. Forum Sexualaufklärung und Familienplanung, (4). Köln.

Bünning, F., & Jenewein, K. (2008). Effekte des experimentierenden Lernens in der Bau- und Holztechnik – Ergebnisse einer Studie zur empirischen Bildungsforschung. bwp@, (14). https://www.bwpat.de/ausgabe14/buenning_jenewein_bwpat14.pdf 

Dweck, C. (2007). Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt. Campus.

Egger, J. (2015). Selbstwirksamkeit. Integrative Verhaltenstherapie und psychotherapeutische Medizin. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06803-5_12 

Eisenbart, U., Schelbert, B., & Stokar-Bischofberger, E. (2020). Stärken entdecken – erfassen – entwickeln: Das Talentportfolio in der Schule. Schulverlag plus.

Fuchs, C. (2005). Selbstwirksam lernen im schulischen Kontext: Kennzeichen – Bedingungen – Umsetzungsbeispiele. Klinkhardt.

Jaeggi, R. (2016). Entfremdung. Suhrkamp.

Jourdan, D., Samdal, O., Diagne, F., & Carvalho, G. S. (2008). The future of health promotion in schools goes through the strengthening of teacher training at a global level. Promotion & Education, 15(3), 36–38. https://doi.org/10.1177/1025382308095657 

Klieme, E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber, H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J., Tenorth, H.-E., & Vollmer, H. J. (2003). Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards: Eine Expertise. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Mangelsdorf, J. (2020). Positive Psychologie im Coaching. Springer.

Möller, K. (2007). Handlungsorientierung im Sachunterricht. In J. Kahlert (Hrsg.), Handbuch Didaktik des Sachunterrichts (S. 411–416). Klinkhardt.

Mummendey, H. D. (2006). Psychologie des Selbst: Theorien, Methoden und Ergebnisse der Selbstkonzeptforschung. Hogrefe.

Neumann, A., & Renner, I. (2016). Barrieren für die Inanspruchnahme Früher Hilfen: Die Rolle der elterlichen Steuerungskompetenz. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59(10), 1281–1291. https://doi.org/10.1007/s00103-016-2424-6 

Offen, S. (2019). Intersektionalität als Bezugspunkt in Jugendarbeit und politischer Bildung? Vielfalt-Mediathek. www.vielfalt-mediathek.de

Peterson, C., & Seligman, M. E. P. (2004). Character Strengths and Virtues: A handbook and classification. Oxford University Press.

Pilger, S. (2022). Förderung von Selbstmanagementkompetenzen nach dem Ansatz der Positiven Psychologie. Springer.

Rusert, K., Kart, M., & Stein, M. (2022). Perspektiven auf die Ausbildung durch Zugewanderte und Ausbildungsbetriebe. bwp@, (42). https://www.bwpat.de/ausgabe42/rusert_etal_bwpat42.pdf 

Winter, F. (2018). Lerndialog statt Noten. Beltz.

 

Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Veröffentlichungsdatum

Jana Pokraka, Dr., ist Geisteswissenschaftlerin mit fachlichem Schwerpunkt in Grundschulpädagogik, Sachunterrichtsdidaktik und geografischer Kindheitsforschung. In ihrer Tätigkeit bei Sinus – Büro für Kommunikation arbeitet sie als Projektleitung mit dem Schwerpunkt Konzepte und Strategien.
Kontakt: jana.pokraka(at)sinus-bfk.de 

Lena Hoffmann ist Betriebswirtin und ehemalige Lehrkraft an einer Hauptschule mit Fokus Berufliche Orientierung und Übergang Schule/Beruf. Seit 14 Jahren begleitet sie »komm auf Tour« in Entwicklung, Strategie und Konzeption, aktuell in der Rolle als Geschäftsführerin bei Sinus – Büro für Kommunikation.

Lisa Kuhlmeier ist Philosophin mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf angewandter Ethik und sozialer Praxis. Als Projektleiterin ist sie für die strategische Weiterentwicklung von »komm auf Tour« verantwortlich. Gemeinsam mit einem Kollegen leitet sie das in Köln und Berlin angesiedelte Projektteam.

 

Alle Links beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG)

Forschungs- und Praxisprojekte zur Prävention von Schwangerschaftskonflikten sind Thema dieser Ausgabe. In den zehn Beiträgen werden unter anderem die Erfahrungen ungewollt Schwangerer in unterschiedlichen Lebenssituationen ausgewertet. Das Zusammenwirken von Aufklärung, verständlicher Informationen und nachhaltiger Gesundheitskommunikation wird deutlich.
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