Entwicklung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und ausgewählten Nachbarländern
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Entwicklung der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland
Die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist nach einem stetigen Rückgang seit den 1990er-Jahren und einer weitgehenden Konstanz ab Mitte der 2010er-Jahre in den Jahren 2022 und 2023 angestiegen. In den beiden zurückliegenden Jahren 2023 und 2024 lag die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche etwa 6 Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2020 (vgl. Abbildung „Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland (2016 bis 2024)“).
Im Jahr 2021 war die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche – zweifellos beeinflusst durch die Corona-Pandemie – auf einen Tiefststand gesunken (-5,4 % gegenüber 2020). Im Folgejahr 2022 fiel die Zunahme der Schwangerschaftsabbruchzahl gegenüber dem Vorjahr besonders stark aus (+9,9 %) und setzte sich 2023 nochmals in abgeschwächter Form fort. Zu den Hintergründen des Anstiegs ab 2022 liegen bislang keine gesicherten Erkenntnisse vor.
Das Jahr 2022 markiert dabei nicht nur in Deutschland eine Zäsur bei der Entwicklung der Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch in den Nachbarländern Belgien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz zeigt sich im gleichen Zeitraum eine deutliche Zunahme (vgl. Abbildung „Schwangerschaftsabbrüche 2020 bis 2024 im Ländervergleich“). Teilweise fällt der Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche noch stärker als in Deutschland aus – und dies ohne einen vergleichbaren Rückgang im Jahr zuvor.
Die Gleichzeitigkeit der Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche in verschiedenen Staaten legt nahe, dass die Einflussfaktoren und relevanten Rahmenbedingungen für diese Entwicklung ebenfalls auf einer internationalen Ebene zu suchen sind. Insbesondere die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste europaweite Verunsicherung bezüglich Energieversorgung, Inflation und wirtschaftlicher Entwicklung ist als eine Ursache in Betracht zu ziehen: Berufliche und finanzielle Unsicherheit rangieren unter den im Rahmen der „frauen leben“-Befragungen genannten Hauptgründen für Schwangerschaftsabbrüche mit an vorderer Stelle. Ein prägender Einfluss spezifischer nationaler Entwicklungen wie etwa gesetzlicher Änderungen oder Veränderungen bei der Anwendung von Behandlungs- und Diagnosemethoden erscheint aufgrund der Gleichzeitigkeit der Entwicklung in verschiedenen Staaten dagegen wenig plausibel.
Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vergleichsweise verhalten erfolgt ist. Wird als Basis für einen Vergleich das Jahr 2016 (oder ein beliebiges anderes Jahr zwischen 2017 und 2020) herangezogen, zeigt sich, dass in Deutschland der Anstieg der Schwangerschaftsabbruchszahl im Vergleich zu den ausgewählten Nachbarländern am geringsten ausgefallen ist (vgl. Abbildung „Schwangerschaftsabbrüche 2016 bis 2024 im Ländervergleich“).
Methodische Anmerkungen
In dem Beitrag werden die absoluten Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche als Datengrundlage genutzt. Grundsätzlich sind Häufigkeiten – d. h. die Anzahl bezogen auf eine Bevölkerungsgruppe – als exakteres Maß zu sehen. Bei Betrachtungen von kleineren Zeiträumen ist der Einfluss von Bevölkerungsveränderungen nur gering und bezogen auf die in in diesem Zusammenhang getroffenen Aussagen vernachlässigbar. Von einer Verwendung der Häufigkeiten wurde daher abgesehen, zumal dies bei dem internationalen Vergleich zu Einschränkungen bei der Datenverfügbarkeit, der Aktualität und der Vergleichbarkeit geführt hätte.
Das Jahr 2016 wurde als erstes Jahr für den Vergleich gewählt, da in Frankreich aufgrund einer Umstellung der Statistik Vergleichswerte erst ab diesem Jahr verfügbar sind. Ausgewiesen sind die zum Zeitpunkt der Erstellung aktuellsten verfügbaren Daten. Die Datenquellen wurden von SoFFI recherchiert.
Datenquellen
Deutschland: Statistisches Bundesamt (destatis). (2025, April). Schwangerschaftsabbruchstatistik. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/_inhalt.html
Niederlande: Inspectie Gezondheidszorg en Jeugd (IGJ) / Ministerie van Volksgezondheit. (n. d.). Welzijn en Sport: Rapportage Wet afbreking zwangerschap (Wafz). https://www.igj.nl/over-ons/igj-in-cijfers/cijfers-zwangerschapsafbreking
Belgien: Commission nationale d’évaluation de la loi du 15 octobre 2018 relative à l’interruption de grossesse (Loi du 13 août 1990). (2025, Mars). Rapport à l’attention du parlement 1er janvier 2022 – 31 décembre 2023. https://organesdeconcertation.sante.belgique.be/sites/default/files/documents/cie_ivg_-_rapport_2022-2023_mars_2025.pdf (dort S.19).
Frankreich: Ministère des solidarités et de la santé / Direction de la recherche, des études, de l’évaluation et des statistiques (DREES). (n. d.). Données statistiques publiques en santé et social. Nombre d'interruptions volontaires de grossesse (IVG). https://data.drees.solidarites-sante.gouv.fr/explore/dataset/3647_ivg/information/
United Kingdom (England und Wales): Department of Health & Social Care. (n. d.). Abortion statistics for England and Wales. https://www.gov.uk/government/statistics/abortion-statistics-for-england-and-wales-2022/abortion-statistics-england-and-wales-2022
Schweiz: Bundesamt für Statistik. (n. d). Schwangerschaftsabbrüche. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/reproduktive/schwangerschaftsabbrueche.gnpdetail.2024-0118.html
Zitation
Knittel, T. (2025, Mai). Entwicklung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und Nachbarländern. BIÖG: Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung. www.sexualaufklaerung.de/publikation/entwicklung-schwangerschaftsabbrueche-vergleich
Veröffentlichungsdatum
Tilmann Knittel, Soziologe M.A., ist Geschäftsführer des neu gegründeten Cornelia Helfferich Instituts für Geschlechter- und Familienforschung in Freiburg, das künftig die »frauen leben«-Studienreihe bearbeiten wird.