Das bundesweite Hilfetelefon »Schwangere in Not« – ein niedrigschwelliges Angebot für schwangere Personen in Krisenzeiten
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Das Telefon klingelt. Eine schwangere Person meldet sich und beginnt, von ihrer Situation zu erzählen. Sie ist schwanger mit ihrem Wunschkind, doch sie merkt, dass schwanger zu sein viel anstrengender und ganz anders ist, als sie erwartet hatte. Sie fühlt sich unwohl mit den körperlichen Veränderungen und hat das Gefühl, mit ihren Empfindungen »falsch zu liegen«. Im Verlauf der Beratung stellt sich heraus, dass das Gefühl des »Falschseins« vor allem mit gesellschaftlichen Erwartungen und Zuschreibungen zum Thema Schwangerschaft zusammenhängt. Die Person spricht darüber, wie sie unter Druck steht, das aktuelle Erleben genießen zu müssen, jeden Dehnungsstreifen zu lieben und sich als schwangere Person einfach nur zu freuen. In der Beratung kann das anfangs gefühlte »Falschsein« anders verortet werden. Die Beraterin weist auf die hohen gesellschaftlichen Erwartungen und die Medien hin, die oft vorgeben, wie sich eine schwangere Person zu fühlen hat. Dabei wird der Raum dafür geöffnet, dass alle Gefühle, die in der Zeit der Schwangerschaft auftreten, ihre Berechtigung haben und ausgesprochen werden dürfen – zunächst im geschützten Rahmen des Beratungsgesprächs. Der Ratsuchenden wird die Perspektive geschildert, dass möglicherweise die Erwartungen und Projektionen, die auf sie einprasseln, nicht der Realität entsprechen. Ihr wird vermittelt, dass sie mit ihrem Empfinden nicht allein ist und dass auch andere Personen in ähnlichen Situationen negative Gefühle und Gedanken im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft haben. Die Ratsuchende erfährt Entlastung durch das Aussprechen der eigenen Gedanken und macht die Erfahrung, dass alle Gefühle zu ihrer Schwangerschaft da sein dürfen.1
Dies ist ein Auszug aus einem emotionalen Entlastungsgespräch beim Hilfetelefon »Schwangere in Not«. Was als »Not« eingestuft wird – das obliegt den Personen, die Kontakt zum Hilfetelefon aufnehmen.
Die Nachricht einer bestehenden Schwangerschaft ist für viele Menschen ein freudiges Ereignis, kann jedoch auch zu existenziellen Krisen führen. Sicher ist, dass eine Schwangerschaft zu vielen Veränderungsprozessen führt. Für die schwangere Person sind körperliche Veränderungen zu erwarten, zunächst nur spürbar und – mit Fortschreiten der Schwangerschaft – auch für andere sichtbar. Beziehungen verändern sich, die eigene Biografie wird überdacht und eine Vorstellung davon entwickelt, wie das eigene Kind aufwachsen soll. Es kann dazu kommen, dass bislang stabile Faktoren angepasst werden müssen. Möglicherweise wird ein größerer Wohnraum benötigt. Die berufliche Situation sowie deren Perspektive werden neu gedacht. Zusätzlich sind schwangere Personen sowie deren Partnerinnen und Partner durch die Gesellschaft, die Medien und das soziale Umfeld mit vielen inneren und äußeren Erwartungen konfrontiert. Kommen noch äußere Belastungsfaktoren hinzu, wie fehlende finanzielle Sicherheit, instabile Beziehungen oder familiärer Druck, kann es zu einer akuten Krise kommen. Darüber hinaus gilt die Zeit der Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt eines Kindes als vulnerable Phase für das erstmalige Auftreten von Gewalt in Paarbeziehungen.
Ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftskonflikte bringen oftmals starke emotionale Belastungen mit sich, die durch soziale, wirtschaftliche oder partnerschaftliche Probleme verschärft werden können. Es gibt eine große Spannbreite hinsichtlich des Hintergrunds einer Schwangerschaft. Sie kann lange geplant und gewünscht sein, freudig überraschend kommen oder auch absolut unerwünscht sein. Die Schwangerschaft kann durch eine Gewalterfahrung zustande gekommen sein. Ähnlich vielfältig sind auch die Gefühle und Gedanken von Ratsuchenden, die in der Beratung des Hilfetelefons geschildert oder spürbar werden: Freude, Überraschung, Erleichterung, Selbstzweifel, Überforderung, Hoffnung, Verunsicherung, Angst, Scham und vieles mehr. Auch eine lange geplante und gewünschte Schwangerschaft kann bei schwangeren Personen und deren Umfeld phasenweise Ängste und Überforderungsgefühle auslösen. Diese Zwiespältigkeit an Empfindungen in Bezug auf die Themen Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt und Leben mit Kind ist typisch, und gleichzeitig überrascht sie viele Personen, die sich in der Situation befinden. Insbesondere die negativen Empfindungen und Gedanken sind häufig scham- und tabubehaftet und werden nicht mit dem sozialen Umfeld geteilt. Das Hilfetelefon kann hier einen geschützten Raum bieten, in dem ratsuchende Personen das aussprechen können, was sie bewegt.
Gesetzlicher Hintergrund
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (SchwHiAusbauG) wurde zum 1. Mai 2014 das Hilfetelefon »Schwangere in Not« beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eingerichtet. Das Hilfetelefon bietet rund um die Uhr anonyme und kostenfreie Hilfe und Unterstützung für Schwangere, die sich in Konfliktlagen befinden, sowie für Fachkräfte und Menschen aus deren Umfeld.
Damit wird ein Ziel des SchwHiAusbauG umgesetzt, schwangere Personen mit Anonymitätswunsch schon frühzeitig auf das bestehende Hilfesystem aufmerksam zu machen. Um die Zugangsschwelle zur Hilfe durch Beratung so niedrig wie möglich zu halten, hat der Bund das Hilfetelefon eingerichtet. So können schwangere Personen in extremen Konfliktlagen jederzeit kurzfristig psychosoziale Unterstützung erhalten und an Beratungsstellen vor Ort vermittelt werden. Es gibt in Deutschland mit rund 1.600 Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen ein breit aufgestelltes Unterstützungssystem für Anliegen rund um Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt. Das Hilfetelefon soll diese Hilfsangebote besser bekannt machen und einen Weg in das Beratungs- und Unterstützungssystem mit seiner breiten Angebotspalette ebnen.
Mit der vertraulichen Geburt schafft das SchwHiAusbauG für Personen, die eine Schwangerschaft oder Geburt verheimlichen möchten, die Möglichkeit, ihr Kind medizinisch betreut zur Welt zu bringen, ohne dass sie ihre Identität preisgeben müssen. Das vertraulich geborene Kind wird nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Die Daten der Person, die das Kind zur Welt gebracht hat, werden in einem sogenannten Herkunftsnachweis hinterlegt, der sicher im BAFzA aufbewahrt wird. Ab dem 16. Geburtstag hat das vertraulich geborene Kind die Möglichkeit, den Klarnamen der Mutter zu erfahren. So wird mit dem Verfahren der vertraulichen Geburt dem Recht des Kindes auf Wissen um seine Abstammung sowie den Geheimhaltungsinteressen der schwangeren Person nachgekommen.
Das Hilfetelefon »Schwangere in Not« – was bietet das Angebot?
Das Hilfetelefon ist telefonisch unter der 0800 4040020 und online per E-Mail und Chat über die Internetseite www.hilfetelefon-schwangere.de zu erreichen. Das Angebot kann zu jeder Tages- und Nachtzeit kontaktiert werden. Die Beratung steht rund um die Uhr, an jedem Wochentag, an Samstagen und Sonntagen sowie an Feiertagen zur Verfügung. Eine ratsuchende Person kann also immer dann Kontakt aufnehmen, wenn es für sie passend ist oder wenn sie eine akute Krise erlebt, und muss dabei keine Öffnungszeiten berücksichtigen.
Die Beratung beim Hilfetelefon findet in einem geschützten Rahmen statt. Sie ist anonym und vertraulich. In der Praxis bedeutet das, dass die ratsuchende Person ihren Namen nicht nennen muss und ihre Rufnummer nicht auf dem Telefondisplay der Beraterin erscheint. Der Anruf ist kostenfrei und der Anruf erscheint auch nicht im Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung. Das Angebot der Online-Beratung bietet den hilfesuchenden Personen ein noch höheres Maß an Anonymität, da die ratsuchende Person ihre Stimme nicht offenbart. Die Beratung beim Hilfetelefon ist barrierearm. Sie kann neben Deutsch in 18 weiteren Sprachen erfolgen und bei Bedarf in Leichter Sprache und Deutscher Gebärdensprache. Die Online-Beratung des Hilfetelefons findet ausschließlich in deutscher Sprache statt.
Basierend auf der gesetzlichen Grundlage des SchwHiAusbauG wurde das Beratungskonzept für das Hilfetelefon entwickelt. Das Hilfetelefon bietet Ratsuchenden eine Erstberatung an, das heißt, das Beratungsanliegen zunächst zu erfassen oder dabei zu helfen, es zu formulieren. Die Beraterin vermittelt Ruhe und unterstützt dabei, die Situation zu sortieren, wenn Ratsuchende nicht sprechen können, wenn sie weinen oder auch gar nicht wissen, wie es für sie weitergehen kann. Bei Bedarf können erste Informationen gegeben werden, zum Beispiel dazu, wie sich herausfinden lässt, ob überhaupt eine Schwangerschaft besteht, wie eine Schwangerschaftskonfliktberatung abläuft oder was eine vertrauliche Geburt ist.
Die Beraterinnen besprechen mit den Ratsuchenden die nächsten Schritte in diesem individuellen Fall. Dazu kann gehören, den Blick für die Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld zu öffnen. Darüber hinaus werden das Angebot und die Arbeitsweise von Schwangerschafts(konflikt)-beratungsstellen erläutert und Ratsuchende darin bestärkt, Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Dabei ist es das Ziel, Vertrauen in Beratungsangebote herzustellen und eine Brücke zu der Beratung vor Ort zu bauen.
Wenn es gewünscht oder notwendig ist, kann eine Konferenzschaltung eingeleitet werden mit beispielsweise einer ratsuchenden Person, Beraterin und Beratungsstelle oder zusätzlich noch mit einer Dolmetscherin. Weitervermittelt werden die Ratsuchenden des Hilfetelefons insbesondere an Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen, an Geburtskliniken oder den Rettungsdienst. Bei Bedarf, wenn eine Geburt begonnen hat oder ein Kind schon alleine zur Welt gebracht wurde, leisten die Beraterinnen Krisenintervention und vermitteln auf Wunsch der Ratsuchenden an entsprechende Angebote vor Ort. Eine langfristige Begleitung durch die Beraterinnen des Hilfetelefons ist nicht vorgesehen, ganz gleich in welchem Fall.
Die Beraterinnen bieten ratsuchenden Personen ein unvoreingenommenes Gegenüber. Es können Fragen gestellt und Überlegungen geäußert werden, die im eigenen sozialen Umfeld nicht akzeptiert sind oder nicht platziert werden können. Zuhören, Pausen aushalten, zwischen den Zeilen lesen immer dann, wenn sich für ratsuchende Personen ein passender Moment ergibt oder eine akute Krise erlebt wird – das ist es, was die Beratung am Hilfetelefon so besonders macht.
Die Zielgruppen
Eine ratsuchende Person meldet sich am Hilfetelefon. Sie hat vor einigen Tagen auf einem Flyer einen Hinweis auf das Hilfetelefon gesehen und sich die Nummer notiert. Sie stellt sich als Person Anfang 30 vor, die im sozialen Bereich tätig ist. Sie befindet sich in der 10. Schwangerschaftswoche und wünscht sich Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Erst im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass sie schon seit fünf Wochen von der Schwangerschaft weiß und bereits drei Mal – mit und ohne Begleitung – in einer Schwangerschaftsberatungsstelle war und über einen Beratungsschein für einen Abbruch verfügt. Ebenso geht sie zu ärztlichen Untersuchungen. Die schwangere Person kann sich nicht entscheiden, ob sie das Kind behalten möchte oder nicht. In einer Beziehung ist sie derzeit nicht.
Als Person im Alter von Anfang 30 befürchtet sie, dass dies möglicherweise ihre letzte Chance sein wird, ein Kind zu bekommen. Aber ein Kind großzuziehen ohne eine Beziehung kann sie sich nicht vorstellen. Sie selbst wuchs bei einer alleinerziehenden Person auf und möchte nicht, dass ihr Kind dasselbe erleben muss. Zum Wohle des Kindes wäre sie sogar bereit, eine Verbindung einzugehen, ohne Liebe für diese Person zu empfinden. Die ratsuchende Person hat Angst, dass ein Schwangerschaftsabbruch sehr belastend für sie sein würde und sie ihn emotional nicht verkraften könnte.
Die Beraterin ist hier ein wertneutrales Gegenüber und unterstützt dabei, den eigenen Standpunkt wahrzunehmen. Die ratsuchende Person macht die Erfahrung, nicht allein zu sein, dass ihr professionelle Hilfe zur Verfügung steht und dass es andere Ratsuchende gibt, denen es auch so geht wie ihr. Im Beratungsgespräch wird der Raum für weitere Möglichkeiten, auch jenseits eines Schwangerschaftsabbruchs, geöffnet. Am Ende des Gesprächs ist die ratsuchende Person motiviert, noch einmal die Schwangerschaftsberatungsstelle aufzusuchen – dieses Mal mit einem anderen Fokus.
Beim Hilfetelefon werden insbesondere schwangere Personen in Konfliktsituationen selbst beraten. Es melden sich auch Angehörige und Unterstützende, zum Beispiel Partnerinnen und Partner, Familienangehörige, Freundinnen und Freunde oder Kolleginnen und Kollegen. Zu den Fachkräften, die sich beim Hilfetelefon melden, gehören Mitarbeitende aus Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen, aus der Adoptionsvermittlung, aber auch medizinisches Personal und Mitarbeitende aus Standesämtern.
Es gibt zwei Zielgruppen, die konzeptionell voneinander unterschieden werden: Ratsuchende Personen mit dem Kontext einer verheimlichten Schwangerschaft, die sogenannte Kernzielgruppe, und ratsuchende Personen mit Anliegen rund um Schwangerschaft und Geburt, ohne dass eine Schwangerschaft verheimlicht wird oder wurde, die sogenannte erweiterte Zielgruppe. Das Hilfetelefon wurde für die Kernzielgruppe eingerichtet: Schwangere Personen und Personen, die ein Kind bekommen haben und dabei ihre Identität nicht preisgeben möchten, sowie deren Umfeld. Das Hilfetelefon erreichen darüber hinaus viele allgemeine Fragen rund um eine vermutete, gewünschte oder nicht gewünschte bestehende Schwangerschaft. Diese Anliegen ohne Verheimlichungswunsch werden zur erweiterten Zielgruppe gezählt. Diese Zielgruppe stellt seit dem Start des Hilfetelefons die größte Gruppe der Ratsuchenden dar.
Innerhalb der Kernzielgruppe kann es inhaltlich darum gehen, dass sich ratsuchende Personen über ihre Möglichkeiten im Kontext einer verheimlichten oder verdrängten Schwangerschaft informieren. Dabei geht es im ersten Schritt oftmals darum, sich erstmals mit dem Thema einer bestehenden Schwangerschaft einer anderen Person gegenüber zu offenbaren. Hierbei ist es für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Ratsuchenden eine wichtige Erfahrung, angenommen zu werden mit dem, was da ist, und Fragen stellen zu können, die bisher mit sich alleine ausgemacht wurden. Inhalte einer Beratung innerhalb der Kernzielgruppe können sein, bereits vorinformierte Ratsuchende in ihrem Weg zu bestärken, sich Hilfe zu holen und Rückfragen zum Verfahren der vertraulichen Geburt zu besprechen. Beraterinnen leisten auch in ganz akuten Situationen Krisenintervention, wenn beispielsweise eine Geburt unmittelbar bevorsteht oder ein Kind bereits alleine zur Welt gebracht worden ist.
Im Kontakt mit Fachkräften rund um das Verfahren der vertraulichen Geburt beantworten Beraterinnen Rückfragen zum Verfahren und erklären, wenn notwendig, die zur Verfügung stehenden Informationsmaterialien. Zudem können Erfahrungswerte zu bestimmten Fragestellungen eingebracht werden.
Frühmorgens geht ein Anruf beim Hilfetelefon ein. Die anrufende Person beginnt das Gespräch mit den Worten »Ich glaube, ich habe Wehen«. Sie erzählt, dass sie seit Stunden Wasser verliere und Schmerzen habe. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die ratsuchende Person kurz vor dem Telefonat bei der Recherche im Internet auf das Angebot der vertraulichen Geburt aufmerksam wurde und so auch vom Hilfetelefon erfahren hat. Die Person in den Wehen möchte medizinische Hilfe, kann sich allerdings nicht vorstellen, dass ein Rettungsdienst verständigt wird. Im Beratungsgespräch wird die Option besprochen, ein Taxi zu rufen. Dies ist für die ratsuchende Person vorstellbar. Sie bittet die Beraterin um telefonische Begleitung auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Beraterin ist mit der Person im Gespräch, während diese mit dem Taxi ins Krankenhaus fährt, und auch, als sie sich nicht traut, die Person an der Pforte des Krankenhauses nach dem Weg zur geburtshilflichen Station zu fragen. Das Gespräch wird auch aufrechterhalten, als die ratsuchende Person im Eingangsbereich auf Schildern nach dem einzuschlagenden Weg sucht. Während der Aufzugfahrt bricht die Verbindung ab. Wie zuvor mit der Beraterin vereinbart, ruft die schwangere Person erneut beim Hilfetelefon an. Das wiederholt sie so lange, bis sie wieder die Beraterin mit der ihr vertrauten Stimme im Gespräch hat. Mit der Unterstützung der Beraterin gelingt es der ratsuchenden Person, eine Mitarbeitende des medizinischen Personals auf der geburtshilflichen Station anzusprechen. Das Mobiltelefon wird übergeben, sodass die Beraterin die mitarbeitende Person über die aktuelle Situation, den Wunsch nach einer vertraulichen Geburt und die anstehenden Verfahrensschritte informiert. Inzwischen ist die Uhrzeit erreicht, zu der Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen geöffnet sind. Die Beraterin leitet eine Konferenzschaltung mit der ratsuchenden Person und einer Beratungsstelle ein, so dass eine Fachkraft für die vertrauliche Geburt in das weitere Vorgehen mit einbezogen werden kann.
Die Beraterinnen
Die Erfahrungswerte aus der Praxis zeigen, wie es den Beraterinnen beim Hilfetelefon insbesondere in akuten Situationen vor, während und nach der vertraulichen Geburt eines Kindes gelingt, im Beratungskontakt ein Vertrauensverhältnis zu Ratsuchenden aufzubauen. Die Beraterinnen bieten den Menschen in akuten Krisensituationen den Raum, sich zu öffnen, stellen die in der Situation wichtigsten Informationen bereit und begleiten per Telefon oder Chat, bis Unterstützung vor Ort ist. Sie stehen für Rückfragen der Ratsuchenden und des medizinischen Personals zur Verfügung. Inzwischen arbeiten rund 100 Beraterinnen für die bundesweiten Hilfetelefone »Schwangere in Not« und »Gewalt gegen Frauen«.
Alle für die Hilfetelefone tätigen Beraterinnen sind hoch qualifizierte Fachkräfte, die ein entsprechendes Studium absolviert haben und über Erfahrungen sowie Zusatzausbildungen in der psychosozialen Beratung verfügen. Die Beraterinnen arbeiten im Wechselschichtdienst. Sie sind in Früh-, Tag-, Spät- und Nachtschichten eingeteilt. Dabei überlappen sich die Zeitfenster, sodass die Dienste bedarfsgerecht aufgestellt sind, um auch Spitzen am Telefon oder in der Online-Beratung bedienen zu können.
Jeder Beraterin im BAFzA steht ein separater Raum zur Verfügung, sodass die Beratungen in einem vertraulichen und geschützten Rahmen stattfinden können. Die Beraterinnen arbeiten mit einer Wissens- und Adressdatenbank und dokumentieren die Beratungen. Dabei wird nur dokumentiert, was die ratsuchenden Personen erzählen. Seitens der Beraterinnen werden keine zusätzlichen Informationen oder Daten abgefragt.
Zur Sicherung der Beratungsqualität stehen auch im Wechselschichtdienst Zeitfenster für Supervisionen, Fortbildungen sowie interne Besprechungen zu den unterschiedlichen fachlichen Themen innerhalb des Teams zur Verfügung. Vor dem Beginn der Beratungstätigkeit finden für alle neuen Kolleginnen umfassende Schulungen zu der Vielzahl an relevanten Themen statt.
Erfahrungswerte – zehn Jahre Hilfetelefon »Schwangere in Not«
Das Hilfetelefon wird per Telefon- sowie über die Online-Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit kontaktiert. Rund die Hälfte der Beratungen finden außerhalb der regulären Öffnungszeiten von Beratungsstellen statt.
Insgesamt erreicht das Hilfetelefon alle oben genannten Zielgruppen zu den verschiedensten Problemlagen. Hilfesuchende Personen nehmen Erstinformationen, Krisenintervention und Weitervermittlung in Anspruch. Das Angebot wird damit den Erwartungen entsprechend angenommen.
Thematisch erstrecken sich die Anliegen der Rat suchenden Personen von Aspekten rund um eine Schwangerschaft über verheimlichte und/oder verdrängte Schwangerschaften bis hin zu Kontakten in akuten Situationen, wenn die Geburt bereits begonnen hat. Die meisten Beratungskontakte finden mit der erweiterten Zielgruppe statt. Das größte Themenfeld in der Beratung bilden in dieser Zielgruppe Anliegen zu Schwangerschaftskonflikten, oder Schwangerschaftsabbruch. Diese Beratungsinhalte stellen in einem Zeitraum von zehn Jahren2 rund 30 Prozent der Beratungskontakte von ratsuchenden Personen dar. Das Thema Schwangerschaftsvermutung kommt in rund 15 Prozent aller Beratungskontakte innerhalb der erweiterten Zielgruppe auf.
Innerhalb der Kernzielgruppe suchten 2.243 Personen mit einem eigenen Verheimlichungsanliegen in Bezug auf eine Schwangerschaft oder Geburt Unterstützung beim Hilfetelefon. In 1.294 Fällen nahmen Fachkräfte in der Kernzielgruppe Kontakt mit dem Hilfetelefon auf. In 267 Fällen meldeten sich Unterstützende. Krisenintervention und konkrete Unterstützung war in 198 akuten Krisensituationen gefragt, in denen die Geburt bereits begonnen hatte, sowie in 80 Fällen, in denen das Kind gerade geboren worden war.
Seit dem Start des Hilfetelefons 2014 ist die Zahl der Beratungskontakte bis zum Ende der Corona-Pandemie kontinuierlich gestiegen. Für die erweiterte Zielgruppe wurden in diesem Zeitraum 54.927 Beratungen durchgeführt. Während der Corona-Pandemie erreichte sie ihren Höchststand. Der Anstieg der Beratungskontaktzahlen macht sich ausschließlich in der erweiterten Zielgruppe bemerkbar. Die Zahl der Beratungskontakte innerhalb der Kernzielgruppe ist über die Jahre konstant geblieben.
Fußnoten
1 Den kursiv gedruckten Passagen liegen anonymisierte Fallberichte von Beraterinnen zugrunde.
2Auswertungszeitraum 2015 bis 2024
Zitation
Richter, L. (2025), Das bundesweite Hilfetelefon »Schwangere in Not« – ein niedrigschwelliges Angebot für schwangere Personen in Krisenzeiten. FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), 2, 28–33.
Download Zitation (RIS)Veröffentlichungsdatum
Leonie Richter, Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin (DGSF), ist Fachbereichsleiterin bei den Hilfetelefonen »Gewalt gegen Frauen« und »Schwangere in Not«
Kontakt: leonie.richter(at)bafza.bund.de
Alle Links beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Artikel der Gesamtausgabe
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